Der heilige Gott

Predigt zum 5. Sonntag im Jahreskreis C (Jes 6,1-8; Lk 5, 1-11)

Im Jahr 1917 schrieb ein evangelischer Theologe und Religionswissenschaftler – Rudolf Otto – ein Buch, das weltweit in der theologischen Welt Aufsehen erregte, in viele Sprachen übersetzt wurde und das bekannteste Buch deutscher Theologie im Ausland wurde. Dieses Buch heißt:  „Das Heilige“.
Der Theologe zeigt darin, dass es in allen Religionen ein ähnliches religiöses Urphänomen oder Urerlebnis gibt:  das Erschaudern des Menschen vor dem heiligen und gewaltigen Gott.  Angesichts überwältigender Naturphänomene oder in existentiellen Grenzsituationen sieht sich der Mensch konfrontiert mit einer ganz anderen Wirklichkeit, mit etwas, das Rudolf Otto das „mysterium tremendum et fascinosum“ nennt (zu deutsch: das erschütternde und faszinierende Geheimnis).
Das Ursprüngliche in jeder Religion sei das „Kreaturgefühl“, das– wie es der Philosoph Schleiermacher nennt –„Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“ des kleinen Menschen von dem großen Gott.
Mit diesen Forschungen widerlegte Rudolf Otto die damals vorherrschende theologische Richtung, die sogenannte „liberale Theologie“, die das Christentum als eine schöngeistige Humanitätsreligion verstehen und alles Übernatürliche, Rätselhafte und Geheimnisvolle  aus dem Glauben ausmerzen wollte. Rudolf Otto zeigte, dass das mit echter Religion, wirklicher Berührung des Menschen mit dem Heiligen, nichts zu tun hat.

Die heilige Schrift offenbart uns an vielen Stellen die absolute Heiligkeit, Weltüberlegenheit und Majestät Gottes. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist die Berufung des Propheten Jesaja (Jes 6,1-13).
In einer Vision wird der Prophet vor den Thron Gottes entrückt. Serafim – zu deutsch:  die Brennenden – stehen dort und rufen einander zu: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere. Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt. Die Türschwellen bebten bei ihrem lauten Ruf und der Tempel füllte sich mit Rauch“. Jesaja kann diesen Anblick kaum ertragen. Er fühlt sich als unreiner, erbärmlicher Mensch, der vor Gott nicht bestehen kann. „Weh mir, ich bin verloren. Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und lebe mitten in einem Volk mit unreinen Lippen und meine Augen haben den König, den Herrn der Heere, gesehen“.
Da fliegt einer der Serafim zu ihm; er berührt seine Lippen mit einer glühenden Kohle, die er mit einer Zange vom Altar genommen hatte und sagt: „Das hier hat deine Lippen berührt:  Deine Schuld ist getilgt, deine Sünde gesühnt“.
Erst auf diese Weise gereinigt kann Jesaja vor dem heiligen Gott bestehen und die Sendung zum Propheten empfangen.

Einen ähnlichen Schrecken wie Jesaja erlebt Petrus im heutigen Evangelium. Als ihm aufgeht, dass derjenige, der da in seinem Boot sitzt, nicht irgendein Prophet oder bedeutender Rabbi ist, sondern dass Gott selbst ihm hier gegenübersteht und ihn anschaut, da fällt er Jesus zu Füßen und kann nur noch stammeln: „Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch!“
Doch dann hört er das Wort: „Fürchte dich nicht, du – gerade du – sollst für mich Menschen gewinnen!“ und mit diesem Wort ist er angenommen und zugleich: ein neuer Mensch geworden, einer, der in der Gegenwart Gottes leben  und Gott dienen darf (Lk 5, 8-11).

Ehrfurcht vor dem großen und heiligen Gott, dem wir alles zu verdanken haben, von dem wir mit jeder Faser unserer Existenz abhängen – das ist die Basis der Religion (jeder Religion, nicht nur des Christentums).
Leider ist solche „Furcht Gottes“ – übrigens nach der wiederholten Aussage der Schrift der „Anfang aller Weisheit“ (Spr 9,10) – heute Mangelware, weil sich in vielen Köpfen ein allzu banales und harmloses Gottesbild festgesetzt hat. Auf diese Weise wird der Mensch aber niemals in eine wirkliche Gottesbeziehung gelangen.
Gott ist der Herr, der Herr des Himmels und der Erde. Gott ist heilig. „Geheiligt werde dein Name“, lehrt Jesus uns im Vaterunser beten. Und in jeder Messfeier stimmen wir in das „Sanctus“, das Dreimal-Heilig der himmlischen Heerscharen vor Gottes Thron ein. Möge es uns immer mehr aufgehen, dass Gott der Heilige ist, dem wir Anbetung schulden, dann sind wir auf der richtigen Spur, und dann werden wir auch die Eucharistie, das große Geheimnis unseres Glaubens, in der rechten Haltung begehen. – Ist doch die Liturgie nach den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils (SC 33)  „vor allem Anbetung der göttlichen Majestät“.

Amen.