Predigt zum 6. Sonntag im Jahreskreis C (Lk 6, 20-26)
Vom Hl. Franz von Sales, dem großen Bischof von Genf im 17. Jahrhundert, stammt ein erstaunlicher Satz:
„Sei froh über jeden Verlust, den du erleidest. Denn so gehörst du auch einmal zu den Armen!“
Ohne Zweifel eine Zumutung dieser Satz. Weil er jedem natürlichen Empfinden widerspricht.- Sich freuen über einen Verlust…Kein Mensch möchte doch im Ernst der Verlierer sein, der Arme, keiner möchte doch übervorteilt werden, den Kürzeren ziehen, nicht auf seine Kosten kommen. Und trotzdem steht es so da, klipp und klar: „Sei froh über jeden Verlust: denn so gehörst du auch einmal zu den Armen“.
Genau besehen entspricht dieser Satz ziemlich genau dem heutigen Evangelium, ist sozusagen eine konkrete Anwendung und Umsetzung dessen, was Jesus da sagt – am Beginn der Bergpredigt: „Selig ihr Armen – denn euch gehört das Reich Gottes.- Aber weh euch, die ihr reich seid, denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten“(Lk 20,20;24). Wenn das gilt, dann hat Franz von Sales recht, wenn er meint, es wäre gut für uns, wenigstens hin und wieder zu den Armen, den Zukurzgekommenen zu gehören.
Aber warum sind die Armen selig? – Weil arm sein ein in sich seliger Zustand wäre? So was könnte nur jemand sagen, der die Armut nicht kennt. Armut heisst: Zu-Kurz-gekommen-sein. Und das tut weh. Und da gibt es die unterschiedlichsten Arten von Armut.
Die materielle Armut: es ist alles andere als angenehm, immer etwas ärmer dran zu sein als die Mitmenschen; im Haus der Wohlstandsgesellschaft die Kellerwohnung bewohnen zu müssen. Aber Armut hat auch noch andere Gesichter, zum Beispiel die naturgegebene Armut: wenn einer von Mutter Natur stiefmütterlich ausgestattet wurde; wenn einfach etwas fehlt, um anzukommen, um Erfolg zu haben , um etwas zu gelten, vielleicht nur ein paar Zentimeter Körpergröße, oder ein paar geistige Talente. Manche sehen sich zukurzgekommen in puncto Freundschaft und Liebe. – Überall sehen sie glückliche Paare und stehen selbst allein da. – Man könnte viele Beispiele von Armut nennen. Wobei es immer um dieselbe Erfahrung geht: zu-kurz-gekommen sein, Verlierer sein, nicht bei den Ersten, sondern bei den Letzten sein. Und nochmals die Frage: Warum sollen die Armen selig sein?
Antwort: weil ihnen das Reich Gottes gehört. Das Reich Gottes ist für die bestimmt, die in dieser Welt nicht ganz zu Hause sind, die hier nicht wunschlos glücklich, satt und zufrieden sind. Voraussetzung für die Erlösung ist die Erlösungsbedürftigkeit. Das Warten des ganzen Menschen auf die andere Welt, die Welt Gottes. – Das aber gibt es nur bei solchen Menschen, die irgendwie an ihrem Leben oder an dieser Welt leiden.(Solches Leiden an dieser Welt, an ihrer Ungerechtigkeit, ihrer Grausamkeit – das ist das Trauern, das Jesus selig preist.)
Wenn heute so viele kein Interesse mehr für den Glauben aufbringen, dann liegt es sicherlich auch daran, dass sie zu reich sind. – Dass sie meinen, schon alles zu haben, was sie brauchen. Reichtum ist wirklich eine Gefahr für den Menschen. – „Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von guten Tagen“, lautet ein Goethe-Wort. – Nicht viele Menschen haben die Größe, mit Wohlstand, mit Erfolg, mit „guten Tagen“ so umzugehen, dass sie nicht Schaden nehmen an ihrer Seele.
Darum mag es tatsächlich so sein, wie der Hl. Franz von Sales sagt: Es ist gut für uns,wenn auch wir einmal auf der Seite der Verlierer stehen, der Zukurzgekommenen, wenn wir benachteiligt werden, zurückgesetzt, gedemütigt , ja, um es noch drastischer mit den Worten des Evangeliums zu sagen: „Wenn euch die Menschen hassen, aus ihrer Gemeinschaft ausschliessen, wenn sie euch beschimpfen und in Verruf bringen“(Lk 6,22). – All das, was nach allgemeiner Anschauung schlechthin ein Unglück ist, könnte unser wahres Glück sein. In der Rückschau auf unser Leben werden wir es vielleicht erkennen, dass gerade die Leidenserfahrungen heilsam für uns waren, dass sie uns reif gemacht haben für das Reich Gottes, dass wir uns durch sie das Bürgerrecht des Himmel erworben haben.
Amen.