Predigt beim „Katholischen Aktionskreis für das Leben“
Der Schutz des ungeborenen Lebens liegt uns am Herzen, wir sind uns in diesem Anliegen einig. Ich will Sie heute nur teilhaben lassen an ein paar Einsichten, die mir zu diesem Thema in Laufe der Zeit gekommen sind. Es sind drei Gesichtspunkte, drei Aspekte, die mir wesentlich zu sein scheinen.
1. Die Kirche ist barmherzig.
Normalerweise wird das Gegenteil behauptet. Die Kirche sei unbarmherzig. Es sei unbarmherzig, wie die Kirche den Schwangerschaftsabbruch anprangert und den Menschen ein schlechtes Gewissen macht.
Ein schlechtes Gewissen muss man bei Abtreibung niemandem einreden. Wo das Seelenleben noch einigermaßen intakt ist, meldet sich das Gewissen von selbst.
Frage: Wohin dann mit meiner Gewissensnot, mit meiner Schuld?
Zum Psychologen, zum Arzt, zum Psychiater? Da werde ich meine Last nicht los. Da wird sie höchstens schöngeredet oder wegerklärt. Aber abnehmen tut sie mir keiner…
Da heißt es dann: verdrängen in die tiefsten Tiefen meiner Seele, sozusagen die „Leiche im Keller begraben“…Und von dort aus vergiftet sie mein Seelenleben mit Alpträumen, Depressionen, Selbsthass.
Glücklich die Frau, die sich in so einer Lage erinnert, wo es Vergebung gibt – ganz umsonst, ganz unkompliziert – einfach durch das ehrliche Bekenntnis der Schuld und der Not.
Welche Vollmacht mir als Priester im Sakrament der Beichte gegeben ist, ist mir so richtig bewusst geworden, als ich Frauen von der Schuld der Abtreibung losgesprochen habe. „Ich spreche dich los von deinen Sünden. Geh in Frieden“.
Eigentlich unfassbar, dass in diesem einfachen, unscheinbaren Akt das geschieht, was Jesaja verheißen hat: „Wären eure Sünden auch rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee“ (Jesaja 1,18)
Eine Umwandlung der Realität, die der Wandlung in der Messe gleichkommt. Würden doch mehr Menschen den Weg finden zu dieser grandiosen, überfließenden Barmherzigkeit und vergebenden Liebe Jesu!
Wenn jährlich bei uns laut Statistik 100.000 Frauen abtreiben – und darin verstrickt sind Ärzte, Ehemänner, Angehörige: Wie viele Menschen bei uns bräuchten dringend die vergebende und heilende Liebe Gottes – und nehmen sie nicht in Anspruch?
Eines ist noch zu ergänzen:
In der Beichte – wenn sie ehrlich, mit Reue abgelegt wurde – geschieht die Versöhnung mit Gott: die Schuld, die mich von Gott getrennt hatte, ist von mir genommen. Damit ist die Sache aber nicht einfach erledigt, sondern der erste, entscheidende Schritt zur Erneuerung getan. Was dann noch aussteht, ist die Versöhnung mit dem Opfer meiner Tat, mit dem Kind, das nicht zur Welt kommen durfte. Hier habe ich viel gelernt aus Erfahrungsberichten von Frauen: Wie sie lernen mussten, das abgetriebene Kind, das vorher eine Unperson gewesen war, ein Anonymes, ein Nichts, dieses Kind anzuerkennen als mein Kind, vielleicht mein erstes Kind, mein einziges Kind.. Wie sie begannen, diesem Kind Raum zu geben in ihrem Leben, in ihren Gedanken, wie sie mit ihm zu sprechen anfingen, ihm einen Namen gaben usw. Und erst dadurch, in diesem schmerzhaften Sich-dem-Kind-Stellen, wurde Heilung möglich, Heilung der eigenen Lebensgeschichte.
In einer Welt, die den Menschen mit seiner Schuld mutterseelenallein lässt („Da sieh du zu!“ „Das ist deine Sache“ – wie es einst der verzweifelte Judas zu hören bekam) ist die Kirche der einzige Ort, wo Schuldbeladene willkommen sind und freigesprochen werden. Diese Barmherzigkeit der Kirche, die sie im Namen Jesu übt, ist schlechterdings einzigartig.
2. Die Kirche ist eindeutig.
Das Thema Abtreibung ist tabu. Darüber wird nicht mehr gesprochen. Weder in der Politik, noch in den Medien. In unzähligen Talkshows werden die abseitigsten Problemchen rauf- und runterdiskutiert; Abtreibung und ihre Ursachen und Folgen kommt nicht vor, obwohl ein Massenphänomen. Trotz dieses Totschweigens, dieser „Schweigespirale“, eines wissen alle: Dass die Katholische Kirche gegen Abtreibung ist. Und damit steht die Kirche wiederum einsam und allein da. Denn es kann sonst keine einzige andere Organisation oder Konfession benannt werden, wo das wirklich klar ist: Wie stehen die Protestanten zur Abtreibung? Wie stehen die Anthroposophen zur Abtreibung? Wie stehen die Buddhisten zur Abtreibung? Wie stehen die Ärzte zur Abtreibung? Wie steht das Rote Kreuz zur Abtreibung? Dass die Katholische Kirche hier eine eindeutige Position bewahrt hat, darüber können wir nicht froh genug sein, und wir wissen, wem das die deutsche Kirche zu danken hat: dem Fels des Glaubens, dem Papst in Rom. Es hat sich wieder erwiesen: Nur in der Verbindung mit ihm ist die Kirche vor der Degeneration und der Korruption gefeit. Nur dürfen wir es uns nicht zu bequem machen und das Eintreten für den Lebensschutz allein dem Hl. Vater überlassen. Da ist jeder Pfarrer vor Ort gefragt: Wie sieht es aus mit deiner Verkündigung? Ist das ein Thema von Zeit zu Zeit in der Predigt oder wenigstens in den Fürbitten? Da gehört Courage dazu, denn die Schweigespirale wirkt auch in der Kirche. Umso mehr brauchen Pfarrer, die ein Wort riskieren, Zuspruch und Unterstützung von den Gläubigen. Denken Sie daran!
Ein Feld, das es noch viel intensiver zu beackern gilt, ist die Schule. Noch haben wir das Privileg, von Klasse 1-13 die Jugend in Religion zu unterrichten. Wie wenig machen wir daraus! Wenn ich die Mittelstufe unterrichtet habe (die Klassen 8-10), war immer auch das Thema Abtreibung dran. Und da waren die Schüler ganz Ohr. Und die Argumente sind ja alle auf unserer Seite. Da kann man glasklar objektiv zeigen, dass der Mensch von der Zeugung an genetisch komplett ist, und insofern Abtreibung nichts anderes ist, als die Tötung eines Menschen in einem frühen Entwicklungsstadium. Das Urteil der Schüler hierzu war immer eindeutig. Und dann muss man den jungen Leuten die Alternative zeigen: In unserem Sozialstaat gibt es immer Möglichkeiten, auch ein ungeplantes Kind durchzubringen – oder es doch wenigstens zur Adoption freizugeben. Auf die Schule müssen wir beim Lebensschutz den Focus richten. Es wäre sehr hilfreich, wenn es hier von den Bischöfen klare Direktiven für die Lehrpläne gäbe (wie auch zum Thema Sterbehilfe und Euthanasie). Nochmal: Beim Thema Lebensschutz ist die Kirche die einsame Ruferin in der Wüste und deshalb notwendiger denn je.
3. Jeder von uns muss in seinem Leben an einer „Zivilisation der Liebe“ arbeiten.
Die heilige Mutter Teresa von Kalkutta pflegte zu sagen: „Die größten Geißeln der Menschheit sind nicht Krebs und Aids, sondern das Gefühl unerwünscht, unwillkommen und überflüssig zu sein“. Unerwünschte, unwillkommene und überflüssige Kinder werden abgetrieben. So will es die „Zivilisation des Todes“ (Papst Johannes Paul II.) Wer diesem unmenschlichen, unbarmherzigen, gnadenlosen Zeitgeist etwas entgegensetzen will, muss danach trachten, jeden Menschen als erwünscht, willkommen und wichtig anzunehmen. Ob es der ist, mit dem ich schon ewig zusammen bin (als ob er schon zum Inventar gehört…) oder jemand, der wie zufällig meinen Weg kreuzt. Jeder Mensch, der in meinem Leben auftaucht, muss mir ein Gottesgeschenk sein. Ich glaube, das ist es, was das Evangelium mit Nächstenliebe meint. Nur wenn wir diese Haltung leben und kultivieren, haben wir das Recht, von Frauen und Paaren zu verlangen, ein Kind anzunehmen, auch wenn es ihre Lebensplanung über den Haufen wirft. Lieben heißt Ja sagen, Ja sagen zu jedem, der mit begegnet, am meisten zu dem, der meine Hilfe braucht. Dieses bedingungslose Ja der Liebe muss unser Leben prägen und formen. Dann sind wir wirkliche Lebensschützer. Dann „lassen wir uns nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinden das Böse durch Gutes“ (Römer 12, 21). Maria, auf die wir in dieser Feier schauen, hat JA gesagt zum Willen Gottes. An Maria wollen wir ablesen, wie wir für den Sieg des Lebens kämpfen müssen.