Es war der 8. September 1687 als das Gnadenbild der Schmerzhaften Mutter Gottes in die neu errichtete Wallfahrtskirche im Weggental übertragen wurde. Am 29. Oktober 1695 – nach Vollendung der Innenausstattung – konnte der Konstanzer Weihbischof Konrad Ferdinand Geist von Wildegg die feierliche Konsekration vornehmen.
Für Rottenburg und das ganze Umland war dieser Prachtbau ein wahres Geschenk des Himmels, und ein Zeichen des Neuaufbruchs und der Hoffnung nach der Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges und einem verheerenden Stadtbrand.
Und da können wir fragen: Wie war das damals überhaupt möglich, wie konnten in dieser notvollen Zeit die Mittel zusammengebracht werden? Da mussten ja viele, sehr viele, die selbst nicht mehr viel hatten, ihr Scherflein beigetragen haben?
Woher kam die Motivation für solch eine Anstrengung inmitten einer immer noch weithin verbrannten Erde?
Es war die Reaktion auf das, was in den Jahren seit 1517, als das Gnadenbild auf wunderbare Weise gefunden wurde, passiert war. Diese unscheinbare, 50 cm große Pieta, hat vieles bewirkt oder sagen wir besser: Diejenige, die auf dem Bild dargestellt ist, hat vieles bewirkt: Heilungen gab es, wunderbare Hilfe und Errettung aus großer Not. Sie wurden zum Teil aufgezeichnet im „Weggentaler Mirakelbuch“…
Im 18. Jahrhundert waren die Wände der Kirche übersät mit Votivtafeln „Dank an die Schmerzensmutter im Weggental“ und ähnlich.
Also: Von nichts kommt nichts. Es ist schon einiges passiert hier im Weggental, woraufhin dann die Gläubigen mit dieser prächtigen Marienkirche geantwortet haben.
Dass dieser Ort hier besonders gesegnet ist, dass hier eine besondere Präsenz spürbar ist, das merken auch Nichtkatholiken, das merken alle, die eine gewisse Feinfühligkeit haben für das Spirituelle.
Das sollten wir uns immer wieder klarmachen, was es für ein Privileg ist, an einem solchen, vom Himmel erwählten Ort, den Glauben leben zu dürfen. Ich empfinde es selber so.
Nach der Eröffnung der barocken Wallfahrtskirche blühte die Wallfahrt ins Weggental auf, gefördert vom Orden der Jesuiten. Wir reden jetzt vom 18. Jahrhundert. Da gab es jedes Jahr zwischen 3000 und viertausend Messfeiern, das heißt: Mindestens 10 Messen pro Tag…
Jede Woche gab es von den beiden Rottenburger Pfarrgemeinden zwei Prozessionen. Zahlreiche Bittgänge und Prozessionen gab es regelmäßig aus der näheren und weiteren Umgebung, z.B. aus Schwalldorf, Börstingen, Bieringen, Obernau, Niedernau, Hirschau, Oberndorf oder Altheim, aber auch aus Haigerloch, Hechingen, Jungingen und anderen Gemeinden im Hohenzollerischen. Auch die Fürstenfamilie von Hohenzollern-Sigmaringen machte sich auf zur Wallfahrt ins Weggental. Das hatte zu tun mit einer besonderen Gebetserhörung, die auch im Mirakelbuch verzeichnet ist.
Apropos Adel. Die prominentesten Besucher des Weggentals stellten sich im Jahr 1730 ein:
Das war das Wiener Kaiserhaus, inklusive der damals 15jährigen späteren Kaiserin Maria Theresia.
Und sie kamen nicht mit leeren Händen, sondern brachten den meisterlichen goldenen Gnadenaltar für das Gnadenbild.
Das alles klingt wie eine einzige Erfolgsstory. Aber es gibt leider auch ein anderes Kapitel. Auf die Blüte der Wallfahrt im 17. Jahrhundert folgte – man möchte sagen – brutal – eine Eiszeit im 19. Jahrhundert.
Es begann damit, dass der Jesuitenorden 1773 aufgelöst wurde, die Patres im Weggental mussten von einem Tag auf den anderen ihre Koffer packen und verschwinden. Dann machte sich ein neuer, „moderner“ Zeitgeist breit, leider auch in der Kirche, die sog. „Aufklärung“ und der Rationalismus. Der Glaube muss vernunftorientiert sein, hieß es, und alles was mit religiösem Gefühl zu tun hat, das geriet unter Verdacht, besonders die Marienfrömmigkeit. Wallfahrten wurden verboten, und Wallfahrtskirchen wurden für „entbehrlich“ erklärt und zum Abriss freigegeben! Man greift sich an den Kopf: Im Namen der Vernunft der reinste Irrsinn…
Gott sei Dank stellten sich Rottenburger Bürger auf die Hinterbeine und kämpften für ihr Weggental, mit vielen Eingaben an die staatliche und kirchliche Obrigkeit.
Die Weggentalkirche blieb, aber sie fiel quasi in den Dornröschenschlaf für Jahrzehnte.
Aber sie wurde wieder wachgeküsst und zwar wieder durch einen Orden, diesmal die Franziskaner im Jahr 1919. Da war auch der Zeitgeist wieder ein anderer. Nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges war die leidgeprüfte Bevölkerung ausgehungert nach dem Trost und der Hoffnung des Glaubens.
Und so kommt es zu einer neuen Blüte, zum zweiten Frühling der Wallfahrt ins Weggental.
Inzwischen haben sich die Franziskaner auch wieder zurückziehen müssen. Leider. Insgesamt hat das kirchliche Leben in den letzten Jahrzehnten einen Niedergang erlebt.
Und wir fragen: Hat die Kirche bei uns überhaupt noch eine Zukunft?
Aber gerade, wenn ich die Geschichte betrachte, muss ich sagen: Warum nicht?
Gott ist immer für Überraschungen gut, „für ihn ist kein Ding unmöglich“, wie es oft in der Bibel heißt. Warum sollte es nach dem Niedergang der letzten Zeit nicht auch wieder einen überraschenden Aufschwung geben können – durch Konstellationen, die wir jetzt noch gar nicht sehen können? Fällt uns so ein Auf und Ab und wieder Auf nicht gerade in der Geschichte unseres Weggentals auf?
Deshalb: Die Hoffnung und die Treue bewahren, die Fackel des Glaubens nicht auslöschen lassen!
Damit, wenn einmal wieder viele anklopfen und fragen nach dem Glauben, es noch welche gibt, die ihnen die Türe öffnen können.