Das größte Wunder Christi:

Predigt zur Eucharistischen Anbetung bei der Theologischen Sommerakademie Dießen 1999

Wir sind am zweiten Tag der diesjährigen Theologischen Sommerakademie zusammengekommen zur Eucharistischen Anbetung. Das theologische Bemühen dieser Tage in Dießen soll heute einmünden in die Anbetung des Eucharistischen Christus. Und das ist zutiefst sinnvoll. Es ist gut, wenn Theologie die „Rede von Gott“ aus der Anbetung kommt und in die Anbetung einmündet. Das können wir von den großen Theologen der Kirche lernen, jenen Gottesgelehrten, die wirklich etwas zu sagen hatten, einem Augustinus etwa oder einem Thomas von Aquin. Aus der Faszination Gottes, aus dem gläubigen Ergriffensein von Gott und seiner Offenbarung kam ihr Streben nach Glaubenserkenntnis:“fides quaerens intellectum“ Glaube, der nach Verstehen sucht (Anselm von Canterbury).

Hans Urs von Balthasar hat diese Art der Glaubenswissenschaft „kniende Theologie“ genannt und sie von der zeitgenössischen „sitzenden Theologie“ unterschieden. „Sitzende Theologie“ kann das gutgehen? Ist es nicht angemessen, in die Knie zu gehen, wenn man es unternehmen will, über Gott, den Herrn des Himmels und der Erde, Aussagen zu machen?

„Adoro te devote, latens Deitas“ „Gottheit, tief verborgen, betend nah ich dir“. Das hat der hl.Thomas geschrieben, den die Kirche als Patron der Theologie und „Allgemeinen Lehrer“ (Doctor communis) ehrt. Vom hl.Thomas stammt nicht nur ein monumentales wissenschaftliches Werk theologischer und philosophischer Traktate, Kommentare und Streitschriften, sondern auch: die Liturgie des Fronleichnamsfestes. Hymnen, die bis heute zum Schönsten im Liedschatz der Kirche gehören, stammen aus seiner Feder (das „Pange lingua“ zum Beispiel oder das „Lauda Sion“ „Deinem Heiland, deinem Lehrer“.) Vielleicht hätte Thomas selbst gerade diese Fronleichnamshymnen zu seinen wichtigsten Werken gerechnet; denn am Ende seines Lebens war ihm alle theologische Gelehrsamkeit fragwürdig geworden im Vergleich zu dem, was er während eines mystischen Erlebnisses bei der Hl.Messe am 6. Dezember 1273 geschaut hatte. So legte er die Feder aus der Hand und schrieb und lehrte bis zu seinem Tod am 7.März 1274 nichts mehr. Aus der Anbetung war seine Theologie gekommen, im anbetenden Schweigen endete sie. Und ganz gewiß hat er sich in diesen letzten Monaten seines Lebens viel vor dem Allerheiligsten Sakrament aufgehalten, vor jenem Geheimnis, das er in den Offiziumslesungen zum Fronleichnamstag das „größte der Wunder Christi“ nennt.

„Das größte der Wunder des Herrn“ nehmen wir diesen schlichten und zugleich schwindelerregenden Satz als Impuls für die heutige Anbetungsstunde.

Die Wunder Jesu, wie wir sie aus den Evangelien kennen zum Beispiel das erste Zeichen im Johannesevangelium, die Verwandlung von Wasser zu Wein bei der Hochzeit zu Kana; oder die wunderbare Brotvermehrung, als der Herr die Fünftausend speiste; die Krankenheilungen die Heilung von Blinden, Aussätzigen, Lahmen; die Auferweckung des Lazarus aus dem Grab all diese Wundertaten, diese göttlichen Machtzeichen Christi, sagt Thomas, werden überragt vom Wunder der Eucharistie und sind zugleich auch alle darin enthalten.

Denn die Eucharistie ist auch eine Verwandlung: Brot und Wein werden auf übernatürliche Weise gewandelt zum Leib und Blut Christi. Die Eucharistie ist auch eine wunderbare Brotvermehrung: Christus speist die Vielen, die Menschen aller Zeiten und an allen Orten mit dem Brot vom Himmel. Die Eucharistie ist auch eine Krankenheilung: sie hat heilende Kraft für Seele und Leib. „Ich komme wie ein Kranker zum Arzt des Lebens, wie ein Unreiner zur Quelle des Erbarmens, wie ein Blinder zum Licht der ewigen Klarheit, wie ein Armer zum Herrn des Himmels und der Erde“, heißt es in einem eucharistischen Gebet des hl. Thomas Und auch die Auferweckung vom Tod, die wir erhoffen, steht in Zusammenhang mit diesem Sakrament: „pharmakon athanasias“ „Heilmittel der Unsterblichkeit“ ist der altkirchliche Name der Eucharistie. Gerade diesen Aspekt, die Gabe des ewigen Lebens, betont Christus wiederholt im Evangelium: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag“ (Joh 6,54).

Wirklich: etwas Großes, das uns in diesem Sakrament gegeben ist und wirklich: ein Wunder. Etwas, das wir nicht rational fassen und erklären können, das unser menschliches Erkenntnisvermögen übersteigt. Der Einsatz des Herzens ist hier gefordert, das vertrauende, gläubige Ja, das Staunen, die Anbetung.

„Niemand kann (recht) kommunizieren, ohne zuerst angebetet zu haben“, sagt der hl. Augustinus. Nur die Anbetung disponiert den Menschen zum rechten Empfang dieses Sakraments. Die Anbetung hält den eucharistischen Glauben lebendig und bewahrt davor, sich durch Gleichgültigkeit an Christus in seiner eucharistischen Hingegebenheit zu versündigen. Wo die Eucharistische Frömmigkeit nicht mehr gepflegt wird, kann man das an einer erschreckend ehrfurchtslosen, ja lieblosen Kommunionpraxis ablesen, wie sie heute in vielen Gemeinden begegnet.

„Es ist der Wille meines Vaters, daß alle, die den Sohn sehen und an ihn glauben, das ewige Leben haben“, lautet ein Wort Jesu im Johannesevangelium (Joh 6, 40).

Den Sohn sehen in der Verborgenheit und Unscheinbarkeit der Hostie. Durch das Auge die lebendige Gegenwart Christi, seine Aura, seine Ausstrahlung aufnehmen und in sich einströmen lassen. Wenn das Auge im Licht ist, wird der ganze Leib hell sein (vgl. Mt 6,22). Wie viele Menschen sind heute auf der Suche nach sogenannten „spirituellen Erfahrungen“, nach bewußtseinserweiternden Erlebnissen. Und alles ist nur bunter, wertloser Plunder im Vergleich zu einer halben Stunde Hingabe an den eucharistischen Christus.

Auf ihn wollen wir jetzt schauen und vor ihn alle unsere Anliegen bringen für uns und die Kirche und unsere ganze im argen liegende Welt.

Amen.

Anmerkungen

Die Unterscheidung zwischen kniender und sitzender Theologie trifft H.U. von Balthasar in dem Aufsatz „Theologie und Heiligkeit“ (in: ders., Verbum caro, Einsiedeln 1960, 195-224).

Das Wort vom „größten Wunder“ Christi stammt aus dem Opusculum über das Fest des Leibes Christi:“Hoc sacramentum [Christus] instituit tamquam passionis suae memoriale perenne, figurarum veterum impletivum, miraculorum ab ipso factorum maximum„(=S.Thomae Aquinatis, Officium de festo corporis Christi, In primo Nocturno,Lectio IV, in: id., Opuscula Theologica, Vol.II, Romae ²1972, 277.)

Das Gebet „Ante communionem“ findet sich ebenda auf Seite 287.

Das Augustinuswort zitiert J.A. Jungmann, Missarum Sollemnia II, Wien 51962, 468.