Predigt zu Allerseelen
Der Allerseelentag führt die Familien an den Gräbern der Verstorbenen zusammen. Da liest man dann noch einmal den Namen und die Lebensdaten eines Menschen, den man gekannt hat, der einem wichtig war. Und man fragt sich vielleicht: Wo er jetzt wohl sein mag? Ist das Grab das einzige, was von ihm übriggeblieben ist?
Und wer an dieser Stelle nicht mit Nachdenken aufhört, fragt weiter: Was ist der Tod eigentlich? Was passiert mit mir selbst, wenn ich einmal sterbe? Was kommt nach dem Tod?
In den letzten Jahren haben Berichte über sogenannte „Nahtoderlebnisse“ Aufsehen erregt. Menschen, die nach einem Unfall oder bei Operationen beinahe gestorben wären, schildern, was sie an der Grenze zwischen Leben und Tod erlebten. Erstaunlicherweise ähneln sich die Erzählungen weltweit. Die Menschen hatten das Gefühl, aus dem eigenen Körper auszutreten und über sich selbst zu schweben. In einer Art „Lebensfilm“ konnten sie die wichtigsten Situationen und Stationen ihres Lebens überblicken und in moralischer Hinsicht bewerten. Dann fühlten sie sich von einem starken Sog erfaßt, der sie in einen dunklen Tunnel hineinzog, hinter dem ein unbeschreiblich schönes Licht, eine lebendige „Liebes-Sonne“ erstrahlte. Von diesem Licht unwiderstehlich angezogen bemerkten sie um sich liebevolle Begleiter, darunter manchmal auch verstorbene Verwandte. Der plötzliche Abbruch dieser Reise in die andere Welt und der Wiedereintritt ins irdis che Leben wurde als schmerzhaft erlebt. Die Mehrzahl solcher Nahtoderlebnisse, die zuerst von dem Amerikaner Raymond A. Moody erforscht wurden („Life after life“), sind ausgesprochen positiver Natur. Die Menschen waren von Glücksgefühlen erfüllt und wußten sich auf dem Weg ins Paradies. Mittlerweile sind aber auch negative Erfahrungen bekannt geworden, wo Menschen sich geradezu in die Hölle versetzt fühlten. Der Weinsberger Psychiater und Neurologe Michael Schröter – Kuhnhardt, der sich seit Jahren der Nahtodforschung widmet, stellt fest: „Jeder Mensch kommt in den Bereich, der ihm entspricht“. Schreckliche Todeserfahrungen ließen sich vermeiden durch ein Leben, „in dem man aufhört, anderen Lebewesen und der Natur zu schaden“.
Auch wenn solche Nahtoderlebnisse einige Fragen aufwerfen (spielen vielleicht körpereigene Opiate eine Rolle?) und letztlich auch nicht über die Grenze des Todes hinüberreichen, so ist doch das neuerwachte Interesse am Thema: „Was kommt nach dem Tod?“ positiv zu bewerten.
Denn es handelt sich hier um die wichtigste Frage überhaupt. Und wenn wir diese Frage ausklammern und verdrängen, dann ist das sehr unvernünftig. Denn, wie schon Augustinus feststellte: „Alles im Leben ist unsicher. Nur eines ist sicher: der Tod.“
Der Mensch ist also vernünftig, wenn er sich mit dem gewissesten Ereignis seines Lebens beschäftigt, und wenn er die Antwort zur Kenntnis nimmt, die ihm die christliche Offenbarung, die Bibel und die auf der Bibel fußende Lehre der Kirche, auf diese Frage gibt.
Was lehrt nun die Kirche ? Im Katechismus lesen wir:“Bei unserem Tod trennt sich die Seele vom Leib“.
Das ist eine ganz grundlegende Einsicht: Der Mensch besteht aus Leib und Seele. Jesus sagt einmal: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können“ (Mt 10,28). Danach hat der Mensch nicht nur den sterblichen Leib, sondern auch eine unzerstörbare Seele.
Der Leib, das ist – wie es Paulus ausdrückt – der „äußere Mensch“ aus Fleisch und Blut (2 Kor 4,16), der physische Organismus. Was damit im Tod passiert, ist offensichtlich. Er stirbt ab (erst das Herz, dann das Gehirn, dann die anderen Organe), und wenn er ins Grab gelegt wird, löst sich der physische Organismus ganz organisch auf in seine chemischen Grundbaustoffe. – Das Materielle, Stoffliche kehrt zurück zur Erde. Der Mensch ist aber mehr als Materie, mehr als H20 und Proteine…Der Mensch ist Person, er hat Bewußtsein, er hat ein geistiges Innenleben. Gerade das unterscheidet ihn ja von der unvernünftigen Kreatur.
Diese Persönlichkeit – die Seele, der „innere Mensch“ (2 Kor 4,16), ist nicht materieller Natur und bleibt darum im Tod bestehen. – Was aber passiert dann mit der Seele?
Aufschlussreich ist, was der Apostel Paulus im Zweiten Korintherbrief (Kap. 5) dazu schreibt:
„Wir wissen, dass wir fern vom Herrn in der Fremde leben, solange wir in diesem Leib zu Hause sind. Denn als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende. Weil wir aber zuversichtlich sind, ziehen wir es vor, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein. Deswegen suchen wir unsere Ehre darin, ihm zu gefallen… Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat„.
Sowohl Hoffnung als auch Sorge drücken sich in diesen Worten aus. – Die Seele, wenn sie aus dem Leib „ausgewandert“ ist, begegnet Gott, ihrem Schöpfer und himmlischen Vater. Während wir auf Erden an Gott glauben müssen, ohne ihn zu sehen, kommt es dann zum Schauen „von Angesicht zu Angesicht“ (1 Kor 13,12). Paulus sehnt sich danach „daheim beim Herrn zu sein“. Er weiß aber auch um den „Richterstuhl Christi, vor dem wir alle offenbar werden müssen“. – Die unmittelbare Begegnung mit dem Herrn im Tod wird zum Gericht für den Menschen. Es zeigt sich, was er in seinem irdischen Leben aus sich gemacht hat und wer er in Wahrheit ist.
Wer ganz auf Gott hin gelebt hat, der kommt im Tod bei Gott an und darf auf ewig bei ihm daheim sein. Solche in Gott vollendeten Menschen nennen wir die Heiligen, deren wir am Allerheiligenfest gedenken.
Für viele wird allerdings gelten: Sie sterben nicht als Heilige. Sie sind noch gar nicht reif fürs Reich Gottes. Sie befinden sich sozusagen noch im „geistigen Embryonalzustand“. Das, worauf es eigentlich ankommt, die Gottesliebe und die Nächstenliebe, ist noch gar nicht recht entwickelt.
Was passiert mit solchen Menschen? Gott schaut auf die innerste Absicht des Herzens (1 Kor 4,5). Ist diese gut, dann kann auch der unfertige Mensch gerettet werden, allerdings, wie Paulus an anderer Stelle einmal sagt, „wie durch Feuer hindurch“ (1 Kor 3,15). Das heißt, es muss noch ein Prozess der Läuterung und Reifung durchlaufen werden, das, was man in der Theologie das „Purgatorium“, den Reinigungsort, nennt, was aber volkstümlich als „Fegefeuer“ bekannt ist.
Und eben solchen Verstorbenen, die noch warten müssen auf die Vollendung, auf den Himmel, gilt unser fürbittendes Gebet am Allerseelentag – und in jeder Heiligen Messe. Auch sie, die „Armen Seelen“ gehören zum Leib Christi, in dem ein Glied für das andere vor Gott eintritt. .
Darum möchte ich Sie am heutigen Allerseelentag dazu einladen: Vergessen Sie Ihre Verstorbenen nicht! Denken Sie an sie. Beten Sie für sie. – Trauernde berichten, dass ihnen das regelmäßige Gebet für einen lieben Verstorbenen eine große Hilfe, ja geradezu unverzichtbar geworden ist.
Sie spüren, dass sie da nicht ins Leere hineinreden, sondern dass ihr Gebet an der richtigen Adresse ankommt. Im Gebet sprengen wir die engen Grenzen unseres oft so tristen Daseins und verbinden uns mit der unsichtbaren Welt Gottes. Das befreit.
Liebe Gemeinde, wenn wir uns mit dem Tod beschäftigen, dann hat das Rückwirkungen auf die Art, wie wir leben. – „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Psalm 90,12).
Viele werden erst am Ende ihrer Tage, in der Rückschau auf ihr Leben erkennen, wie falsch sie gelebt haben, wie unwesentlich, wie oberflächlich und egoistisch. Es wird ihnen aufgehen, wie viele Chancen sie verpaßt haben.
Darum: Versuchen wir jetzt schon klüger zu werden, wesentlicher zu leben. Erstwichtiges nicht länger an die zweite Stelle setzen. Erstwichtig ist unsere Verbundenheit mit Gott. Bei Gott will ich ja einmal im Tod ankommen. Dann sollte ich mich heute schon auf Gott ausrichten. – So leben, dass ich Gott gefalle. Wer das tut, der braucht den Tod nicht zu fürchten. Der darf sich sogar auf die Ewigkeit im Reich Gottes freuen.
Denn die Leiden dieser Zeit, so sagt der Apostel (Röm 8,18), bedeuten nichts im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an den Kindern Gottes offenbar werden soll.
Amen.