Predigt zum Fest Allerheiligen (Mt 5, 1-12)
Allerheiligen ist ein merkwürdiger Tag im Kirchenjahr. – Morgens feiert die Kirche ein Hochfest, ein durchaus froh gestimmtes Fest: Das Fest aller, die in Christus vollendet sind, deren Leben bei Gott verewigt und verherrlicht ist, weil sie Frucht gebracht haben im Glauben und in der Liebe; am Nachmittag aber herrscht eine ganz andere Stimmung: da halten wir das ernste Totengedenken und gehen auf die Gräber hinaus.
Nun hat gerade diese Kombination: Feier der Heiligen und Nachdenken über den Tod einen tiefen Sinn. Denn in der Heiligenverehrung wird der Glaube an das Ewige Leben konkret.
Auf den Friedhöfen der Antike hat die Heiligenverehrung der Kirche begonnen, an den Gräbern der Märtyrer des jungen Christentums. Die Kirche des Anfangs, die Urkirche war ja eine Märtyrerkirche. 300 Jahre lang, von der Zeit der Apostel bis zum Kaiser Konstantin war das Christentum eine verbotene und mehrfach blutig verfolgte Religion im Römischen Reich.
Was Christus in der Bergpredigt, dem Evangelium des heutigen Tages, prophezeit – dass die Gläubigen um seinetwillen „beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet“ würden – das wurde blutige Realität. Weil die Christen sich weigerten, die Römischen Kaiser als Götter zu verehren und Christus abzuschwören, wurden sie zu Tausenden hingerichtet, nicht selten zur Volksbelustigung in den Arenen.
Aber das Christentum war nicht totzukriegen. Im Gegenteil, es wurde immer stärker. Denn auch das andere, was Christus im Evangelium sagt, erfüllte sich: „Freut euch und jubelt, denn euer Lohn im Himmel wird groß sein!“(Mt 5,12) So starben die Märtyrer. Wie Stephanus, der erste Blutzeuge des Glaubens, der im Moment des Sterbens ausruft: „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen. – Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“(Apg 7, 56;59)
Das Sterben der Märtyrer wurde zum Triumph des Glaubens, des Glaubens an Christus und das Ewige Leben. Und darum versammelten sich die christlichen Gemeinden – heimlich, nachts – nirgendwo anders als an den Gräbern ihrer Märtyrer, um die Messe zu feiern, z.B. in den Katakomben, den unterirdischen Grabanlagen Roms. Sie feierten die Eucharistie dort im Bewußtsein, dass die Märtyrer nicht tot sind, sondern leben. Und dass gerade im Mysterium der Eucharistie sozusagen eine Brücke in die andere Welt, die himmlische Welt Gottes geschlagen wird.
Über den Gräbern der bedeutenden Heiligen wurden später Kirchen gebaut. (Bekanntestes Beispiel ist der Petersdom in Rom über dem Grab des Apostels Petrus auf dem Zirkus des Nero.) Und heute noch befindet sich in jeder katholischen Kirche ein Heiligengrab,das in den Altar eingelassene Reliquiar mit sterblichen Überresten eines oder mehrerer Heiligen.
Das Fest Allerheiligen (dessen ursprünglicher Name „Fest aller Heiligen Märtyrer“ lautet) will uns diese Zusammenhänge in Erinnerung rufen. Es lenkt unsern Blick auf das Ewige Leben und auf die Kirche des Himmels. Und diese Perspektive tut uns not. Es ist eminent wichtig, dass wir in allem kirchlichen Alltagsgeschäft nie das Wesentliche aus den Augen verlieren, das große Ziel, das Christus und vor Augen stellt in den Seligpreisungen der Bergpredigt: „Ihnen gehört das Himmelreich…sie werden Gott schauen…euer Lohn im Himmel wird groß sein“(Mt 5, 3;8;12). Christus verheißt uns das Ewige Leben, das Leben in Fülle. Darum gehen wir den Weg das Glaubens. Und wir gehen diesen Weg nicht allein. Wir gehen ihn in einer großen Gemeinschaft, in der Gemeinschaft der Kirche, die universale Ausmaße hat. Denn die katholische Kirche ist weltumspannend, sie umgreift alle Nationen und Völker. Sie ist aber auch zeitumspannend, sie umgreift alle Generationen der Gläubigen, bis zurück zu den ersten Jüngern, den Aposteln.
Die Kirche ist also eine Wirklichkeit, die wesentlich eine unsichtbare, eine übernatürliche Dimension hat. Und das allein macht das Faszinierende an Kirche aus.
Gewiß, in der Kirche gibt es auch das Menschlich-Allzumenschliche. – Und wie sollte es anders sein, da wir alle mit unseren Schwächen und Fehlern zur Kirche gehören… Aber die Kirche ist – Gott sei Dank – noch mehr. So sagt es uns jedenfalls die Hl.Schrift, wenn sie die Kirche in symbolischer Sprache beschreibt als mystischen Leib Christi, als Tempel des Heiligen Geistes oder als das Himmlische Jerusalem.
Diese biblische Perspektive und diese spirituelle Sicht von Kirche müssen wir heute wieder neu lernen, wo ein allzu verflachtes und veräußerlichtes Kirchenbild vorherrscht, wo man meint, Kirche sei nichts anderes als eine große Organisation, ein Sozialkonzern wie das Rote Kreuz, und die Kirchengemeinde vor Ort sei so etwas wie ein Freizeit-und Kulturverein.
Wenn das die Kirche wäre, liebe Gläubige, dann wäre ich nicht Priester geworden und dann gäbe es auch keinen zwingenden Grund, jeden Sonntag zur Kirche zu gehen. Aber wie gesagt: Kirche ist viel mehr; etwas Großes, das schon lange vor uns da war und noch lange nach uns da sein wird; ein Raum, faszinierend und geheimnisvoll wie ein gotischer Dom.
So feiern wir jetzt Allerheiligen, das Fest der himmlischen Kirche. Wir vereinen und in der Feier der Hl.Messe mit den Heiligen im Himmel und rufen ihren Segen auf uns und die weltweite Kirche herab.
Amen.