Vom Sinn des Kniens

Das Evangelium des heutigen Tages, wo Christus für die Ehrfurcht vor dem „Haus meines Vaters“, also dem Haus Gottes kämpft, gibt mir Gelegenheit, eine Frage zu behandeln, die schon verschiedentlich an mich herangetragen wurde:

„Wie ist das eigentlich mit dem Knien in der Kirche? Warum und wann sollen wir während der Meßfeier niederknien?“

Nun könnte man sich über diese Frage zunächst einmal wundern. Denn das Knien in der Messe ist doch eigentlich etwas ganz Normales, das allgemein üblich ist. Darum haben wir ja auch Kniebänke in unseren Kirchen. Die Kniebänke sind zusammen mit dem Ewigen Licht geradezu das Kennzeichen, das spezifische Merkmal einer Katholischen Kirche, woran man sie auf einen Blick als Katholische Kirche erkennen kann.
Auf der anderen Seite erlebt man in letzter Zeit in manchen Gemeinden, dass während der Messe nicht mehr gekniet wird. Und nach Kirchenrenovationen gibt es da und dort plötzlich keine Kniebänke mehr. Was bislang selbstverständlich war, ist von einem Tag auf den andern abgeschafft worden. Und zwar auf Anweisung des zuständigen Pfarrers bzw. des Pastoralteams. Mit Recht fragen darum die Gläubigen: Warum? – Wie ist das eigentlich mit dem Knien?
Und wenn einmal etwas zur Frage geworden ist, dann muß es auch redlich und argumentativ beantwortet werden. – Darauf haben Sie als Gläubige ein Recht. Darin kann dann auch eine Chance liegen: Dass ein liturgischer Vollzug, über den man bisher nicht viel nachgedacht hat, tiefer verstanden und bewußter praktiziert wird.
Zwei Gesichtspunkte scheinen mir in diesem Zusammenhang wichtig zu sein:

Erstens: Das Knien gehört zu den religiösen Urgebärden der Menschheit.
Praktisch alle Weltreligionen kennen das Knien oder dem Knien ähnliche Formen als elementare Ausdrucksform der Religion. Das eindrücklichste Beispiel dazu liefert der Islam. Wenn man die Bilder schon einmal gesehen hat vom Freitagsgebet in der Moschee, wie sich die Gläubigen nicht nur niederknien, sondern mit dem Gesicht auf die Erde werfen mit Leidenschaft, dann wird es kaum jemand geben, den das unberührt läßt und der nicht unmittelbar versteht, um was es hier geht: Anbetung Gottes, Anbetung des großen Gottes. – „Allah akbar“ – Gott ist groß – das ist das muslimische Glaubensbekenntnis. Und das Knien bringt das zum Ausdruck. Es ist die Verkörperung der Anbetung, der Ehrfurcht und der Hingabe an den großen Gott. Hier können wir Christen uns – gerade im Zeichen des interreligiösen Dialogs – eine dicke Scheibe abschneiden! Die Leidenschaft für Gott scheint bei uns allzu abgekühlt und die Ehrfurcht vor dem Heiligen recht unterentw ickelt…

Auch auf den fernöstlichen Kulturkreis, Hinduismus und Buddhismus, lohnt sich ein Blick. Auch hier spielt das Knien eine große Rolle, aber in einer etwas anderen Bedeutung. Hier wird es als eine Körperhaltung der Meditation gepflegt. – Auch hier spiegelt sich eine wichtige Erfahrung: Nämlich dass es zur Meditation, das heißt zur Konzentration auf das Wesentliche, das Göttliche bestimmter Körperhaltungen bedarf. Damit der Körper dem Geist hilft, nicht dauernd abzuschweifen. (Übrigens sind ja seit Jahren auch bei uns Meditationsbänkchen, die das Meditieren im Knien ermöglichen, verbreitet.)
Knien – in allen großen Religionen wichtig, das ist das eine. Der zweite, noch wichtigere Aspekt:

Das Knien: Eine genuin biblische Gebetsgebärde.
Das Evangelium berichtet uns, dass Christus selbst im Knien gebetet hat; und zwar in der entscheidenden Stunde seines Lebens, in der Nacht des letzten Abendmahls – vor seinem Leiden und seiner Kreuzigung: Da ging er – nach dem Bericht des Lukasevangeliums – „wie er es gewohnt war, zum Ölberg; seine Jünger folgten ihm. Als er dort war, sagte er zu ihnen: Betet darum, daß ihr nicht in Versuchung geratet! Dann entfernte er sich von ihnen ungefähr einen Steinwurf weit. Er kniete nieder und betete: „Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ (Lk 22,39-42)
Wenn es für Christus, den Sohn Gottes, recht war, zu Gott auf den Knien zu beten, wieviel mehr wird es dann für uns, Christi Jünger billig sein. Und so war es auch von Anfang an in der Jüngergemeinde üblich. Da lesen wir zum Beispiel in der Apostelgeschichte, wie Paulus die Gemeinde in Milet besucht und dort predigt. Und am Schluß heißt es: „Nach diesen Worten kniete er nieder und betete mit ihnen allen“ (Apg. 20,36).
Die Quintessenz dessen, was uns die Bibel zum Thema Knien zu sagen hat, findet sich in einer zentralen Stelle des Philipperbriefes, dem Christushymnus: „Alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sollen ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu“ (Phil 2,10).
Vor Christus, dem Herrn, dem alle Macht gegeben ist, müssen alle Wesen in die Knie, – sogar die übermenschlichen Wesen, die Engel, aber natürlich im besonderen wir sterblichen Wesen, die ganz von der Erlösung, die Christus uns erwirkt hat, leben.

„Vor dem Namen Jesu soll jedes Knie sich beugen“, sagt die Bibel. Unter diesem Gebot stehen wir. Wir haben Grund, Christus auf Knien anzubeten. Und wir haben den meisten Grund dazu während der Feier der Heiligen Messe. Denn hier begegnet uns nicht nur der Name Jesu, sondern Christus selbst in der Gestalt der Eucharistie. Vor dem Eucharistischen Christus beugen wir die Knie in der Meßfeier und zwar an zwei Stellen: Das erste Mal während dem Höhepunkt der Feier, der Wandlung und dem Eucharistischen Hochgebet; das zweite Mal unmittelbar vor der Kommunion, wenn uns die konsekrierte Hostie gezeigt wird mit den Worten: „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt“.
Das Knien in diesen feierlichen Augenblicken ist Ausdruck unseres Glaubens an die Realpräsenz Christi, an die wirkliche und leibhaftige Gegenwart des Herrn im allerheiligsten Sakrament.

Meiner Meinung nach gibt es noch eine dritte Gelegenheit, bei der Knien angebracht ist, nämlich zur persönlichen Andacht unmittelbar nach dem Kommunionempfang. – Gewiß haben Sie es auch so einst im Kommunionunterricht gelernt. Die Erfahrung zeigt: Die kniende Haltung hilft, sich zu konzentrieren und den Leib Christi mit dem Herzen zu empfangen. Das bequeme Sitzen hingegen verleitet dazu, vom Gebet abzuschweifen und interessiert die anderen beim Kommuniongang zu beobachten.

Natürlich gilt bei all dem: Wem das Knien aus gesundheitlichen Gründen schwerfällt, der ist davon befreit. Alle andern aber, die das Hinknien scheuen, mögen sich fragen, ob sie nicht vom süßen Gift der Bequemlichkeit infiziert sind, dem schon so viele Frömmigkeitsübungen unseres Glaubens in den letzten Jahren zum Opfer gefallen sind.

Liebe Gemeinde, wir betreten hier ein weites Feld, und es zeigt sich, dass weit mehr Sinn hinter so einer Gebärde steht, als man zunächst vermutet. Und wo man sich über die gut begründete Tradition unserer Religion einfach hinwegsetzt und das Knien kurzerhand abschafft, da braucht man sich nicht zu wundern, wenn auch der Glaube bald verschwunden ist.

Auf die Frage eines Ratsuchenden, wie er zum Glauben an Gott und zum Gebet finden könne, antwortete der heilige Pfarrer von Ars: „Fangen Sie am besten mit dem Knien an!“ Und von Johannes XXIII., dem Konzilspapst, stammt der Satz: „Nie ist der Mensch größer, als wenn er kniet“.

Amen.

Anmerkung. Prinzipiell gelten für die Ordnung der Messfeier die Normen der „Allgemeinen Einleitung in das Messbuch“ aus dem Jahr 2000. Über das Knien heißt es in Nummer 43: „Die Gläubigen knien zur Konsekration (Wandlung)…Wo es Brauch ist, dass das Volk vom Ausklang des Sanctus bis zum Ende des Hochgebets kniet, wird dies lobenswerter Weise beibehalten“.