Zum Bibelsonntag (Lk 4,16-21)
In manchen Diözesen im deutschsprachigen Raum wird im Januar der ökumenische Bibelsonntag begangen. Der Bibelsonntag möchte an die Bedeutung der Bibel für das Leben der Christen erinnern; daran, dass die Bibel die Grundlage unseres Glaubens ist und – bei allen Unterschieden der Konfessionen – das Gemeinsame und Verbindende aller Christen.
Nun kann man fragen: Warum eigentlich ist diese Bibel so wichtig für uns Christen? Warum ist von uns verlangt, ein Buch zu lesen, das – in seinen frühesten Teilen – über 3000 Jahre alt ist? Was soll uns heutigen Menschen so ein altes Buch zu sagen haben? – Andere Werke aus der Antike lesen wir ja auch nicht.
Warum also dieses Buch ?
Antwort: Weil die Bibel anders ist als alle andern Bücher.
Gott steht hinter diesem Buch der Bücher. Die Bibel ist nicht nur Menschenwerk, sondern Gottes Werk. Die Bibel ist die Heilige Schrift: die Schrift, an der der Heilige Geist mitgeschrieben hat. Er hat die Verfasser beim Schreiben inspiriert und geleitet. So sagt der Apostel Paulus ausdrücklich, (2 Tim 3,16) dass die Heiligen Schriften von Gott eingegeben worden sind und er dankt der Gemeinde in Thessalonich, dass sie sein Wort, das Wort der Verkündigung, „nicht als Menschenwort, sondern was es in Wahrheit ist, als Gottes Wort“ angenommen hat (1 Thess 2,13).
Mit Recht also heißt es am Ende der Lesung: „Wort des lebendigen Gottes“.
Das ist die Heilige Schrift: Gottes Wort; genauer gesagt: Gottes Wort in Menschenwort.
Darum ist die Bibel heute noch so wichtig, so lebenswichtig wie zu allen Zeiten. Gottes Wort ist immer aktuell, „es bleibt in Ewigkeit“, wie es beim Propheten Jesaja heißt (Jes 40,8).
Das Zweite Vatikanische Konzil sagt: Die Bibel enthält alle Wahrheiten, die Gott uns um unsres Heiles willen mitteilen wollte (Dei Verbum 11). – Alle Wahrheiten für unser Heil finden wir hier, d.h.: für das Gelingen, des Glücken unseres Lebens und für die Ewige Seligkeit. Die Bibel enthält die Antworten auf die Grundfragen der menschlichen Existenz: „Was ist der Mensch ? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens ? Was ist das Gute, was ist die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es ? Was ist der Weg zum wahren Glück ? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode ? Was ist das Schicksal der ganzen Welt ?“ (vgl. Nostra Aetate 1)
Weil die Bibel die Antwort, die Antwort Gottes auf diese Grundfragen enthält, darum ist sie so kostbar, so unersetzlich, so heilsnotwendig für uns.
Die Bibel beantwortet die Letzten Fragen. Das bedeutet zugleich, dass wir ihr nicht die >vorletzten< Fragen stellen dürfen. So ist zum Beispiel der Schöpfungsbericht auf der ersten Seite der Schrift kein naturwissenschaftlicher Report. Naturwissenschaftliche Themen in unserem Sinn interessieren die Bibel nicht. (Und man möchte beinahe sagen: Gott sei Dank nicht!) Der Schöpfungsbericht ist ein theologisch tiefgründiger Hymnus auf Gott, den Ursprung und das Ziel aller Dinge. Und ob die sieben Schöpfungstage vielleicht Millionen Jahre umfassen, das darf man getrost offen lassen. – Sind doch vor Gott „tausend Jahre wie ein Tag“ (2 Petr 3,8). Das Entscheidende ist, dass wir hinter allen Geschöpfen den Schöpfer sehen!
Am Beispiel des Schöpfungsberichts zeigt sich, dass man zum Lesen der Bibel ein gewisses Vorverständnis braucht. Tatsächlich ist das Bibelstudium gar keine so leichte Sache. Manch einer hat sich zum Beispiel schon vorgenommen, die ganze Bibel von vorn bis hinten durchzulesen. Irgendwann aber, vielleicht schon bei den fünf Büchern Mose mit ihren langen Geschlechterlisten und den Anordnungen für den Tempelgottesdienst gab man zermürbt auf…
Man muß sich klarmachen: Die Bibel ist nicht nur ein sehr dickes Buch; sie ist eine Sammlung von vielen verschiedenen Büchern und Schriften. Wenn wir das Inhaltsverzeichnis aufschlagen, dann sind da fast 80 Bücher aufgeführt: 52 im Alten und 27 im Neuen Testament. – Eine ganze Bibliothek.
Nun wird niemand hingehen, wenn er ein Regal mit 80 Büchern vor sich hat, und von links nach rechts alle Bücher hintereinander lesen, sondern er wird jeweils ein Buch auswählen. Und so müssen wir es auch mit der Bibel machen. Ausgewählte Bücher lesen.
Es wird sich nahelegen, zunächst einmal mit den Evangelien anzufangen. – Die Frohbotschaft von Jesus Christus ist die Mitte der ganzen Schrift – und der Schlüssel zum Verständnis aller ihrer Teile, auch des Alten Testaments.
Vom Kirchenvater Hieronymus, der im vierten Jahrhundert die Bibel aus dem hebräischen und griechischen Urtext in die damalige Weltsprache Latein übertrug, stammt das Wort: „Die Schrift nicht kennen, heißt Christus nicht kennen“. Wenn wir unsern Herrn kennen wollen, müssen wir schon ein bißchen mit den Evangelien vertraut sein!
Wenn wir dann auf den Geschmack gekommen sind, werden wir uns auch ans Alte Testament wagen.
Schlagen Sie die Bibel ungefähr in der Mitte auf und Sie stoßen auf die Psalmen, die 150 Hymnen und Gebete des Gottesvolkes, die in ihrem Kern auf König David zurückgehen. Martin Luther bemerkt richtig: „Ein jeder Mensch findet in den Psalmen Stellen, als wären sie allein für ihn geschrieben“.
Im Umkreis der Psalmen stoßen wir auf die alttestamentliche Weisheitsliteratur: Dass Buch der Weisheit, die Sprüche Salomos, Jesus Sirach, Kohelet… – All das besser als alles, was uns heute an Lebenshilfe – Ratgebern verkauft wird!
Zur biblischen Standardlektüre wird man auch die ersten beiden Bücher der Schrift, Genesis und Exodus, rechnen müssen, welche die Frühgeschichte der Menschheit und des Volkes Israel zum Inhalt haben. – Spannend geschriebene Erzählungen, die zugleich zum Grundbestand der Allgemeinbildung gehören.
Nicht nur zum privaten Studium ist uns die Bibel gegeben; in erster Linie und ursprünglich ist die Bibel das Buch der Gemeinde, das im Gottesdienst vorgelesen wird. So sehen wir im heutigen Evangelium Jesus selbst im Synagogengottesdienst seiner Heimatgemeinde in Nazareth, wo er, wie es seine Gewohnheit war, jeden Sabbat hinging, um das Wort der Schrift zu hören, die Psalmen zu beten und auch selbst vorzulesen (Lk 4,16).
Wenn gefragt wird: Was bringt mir der Gottesdienst ? So lautet eine Antwort: Zum Beispiel das Wort Gottes, das hier verkündet und ausgelegt wird – gemäß dem Glauben der Kirche.
Darum dürfen die biblischen Lesungen im Gottesdienst auch nicht – wie es leider mancherorts geschieht – durch andere Texte ersetzt werden. – Auch nicht durch den „Kleinen Prinzen“ und auch nicht etwa bei Erstkommunionfeiern durch die nette Geschichte von „Swimmy dem Fisch“ oder ähnliches. Nein, auch die Kinder darf man nicht um Gottes Wort betrügen !
Wir brauchen den Zuspruch des Wortes Gottes, durch das wir getröstet und ermutigt, ermahnt und herausgefordert und in die göttlichen Geheimnisse eingeweiht werden (vgl. Mt 13,11).
Wir brauchen geistige Nahrung, gute geistige Kost.
Nichts gegen das „Goldene Blatt“ und ähnliche Illustrierte; nichts gegen „Marienhof“ und „Traumschiff“. – Aber wenn das das einzige ist, was der Mensch aufnimmt Tag für Tag ? – Kann das gesund sein ? Nein, der Mensch braucht anderes. Die Seele lebt „vom Wort, das aus Gottes Mund kommt “ (Mt 4,5).
Ich habe einmal einen Ort kennengelernt, wo die Bibel gelesen wurde, mit Feuereifer gelesen wurde, von jungen Menschen verschiedener Nationen, denen ich gar nicht genug Bibeln herbeischaffen konnte. Dieser Ort war: ein Gefängnis (für junge Männer). Die haben – nicht alle, aber ein Teil – in ihrer schwierigen Lebenssituation die Bibel für sich entdeckt, gespürt, dass dieses Buch gut für sie ist, heilsam, wirklich frohe Botschaft.
Dazu paßt gut die Stelle aus dem Propheten Jesaja, die Jesus in der Synagoge in Nazareth aufschlug und vorlas:
„Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Lk 4,18).
Und dann sagt er:“ Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt!“
Amen.