„Taubstumme“ – menschlich und religiös

Predigt zum 23. Sonntag im Jahreskreis B
(Mk 7, 31-37)

Die Szene, die das heutige Evangelium schildert, ist eindrucksvoll: Wie sie den Taubstummen zu Jesus bringen, diesen armen Menschen, der in die ewige Einsamkeit des Schweigens verbannt ist.

Jesus „blickte zum Himmel auf“ (Mk 7,34) – das ist wie eine Kontaktaufnahme mit dem himmlischen Vater: Siehst du auch, welches Elend sie mir hier wieder bringen?

„Er seufzte“, heißt es weiter, – eine Klage über den verkehrten, trostlosen Zustand der Welt.

Und dann spricht er das machtvolle „EFFATA! – Öffne dich!“ – und bringt in diesem Augenblick die Welt in Ordnung.

Außer sich vor Staunen ruft die Menge: „Er hat alles gut gemacht. – Er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen“ (Mk 7, 37).

Jesus macht alles gut. Er stellt die Schöpfungsordnung wieder her. Er heilt die kranke, die kaputte Welt.

Nicht zum Taubstummendasein sind die Menschen geschaffen. Reden sollen sie können, mit freier Zunge. Und hören sollen sie können. Offen sollen sie sein, aufnahme- und mitteilungsfähig.

Die Sprache, das Sprechen – und Hörenkönnen, ist die grundlegende und spezifische Eigenschaft des Menschen. Das, was ihn von der stummen Kreatur unterscheidet. Sprechend gehen wir aus uns heraus , und hörend lassen wir die Welt auf uns ein. Durch das Gespräch entsteht Gemeinschaft, Austausch, Kommunikation. Der dialogische Mensch, der Mensch des Gesprächs, das ist der wirklich menschliche Mensch, der lebendige Mensch. Gegenbild dazu: der Taubstumme. Der in sich selbst Verkapselte und Verschlossene. Der nichts von sich mitteilen und an nichts teilnehmen kann. Verdammt zur Einsamkeit. Aus der lebendigen Menschenwelt ausgeschlossen.

Liebe Gemeinde, der Taubstumme des Evangeliums steht nicht nur für sich. Er ist Symbolgestalt des kommunikationslosen Menschen schlechthin.

Denn Taubstumme gibt es nicht nur unter den Behinderten.

Da lese ich: Nach einer statistischen Untersuchung reden Eheleute im Durchschnitt nicht mehr als siebeneinhalb Minuten pro Tag miteinander. – Siebeneinhalb Minuten… Ist da das Gespräch nicht verkümmert zum allernotwendigsten Informationsaustausch? Ob das ausreicht, um eine Lebensgemeinschaft auf Dauer lebendig zu erhalten? Eheberatung hat darum meistens nur ein Ziel: Die Sprachlosigkeit zu überwinden, das Miteinander-Sprechen und Einander-Zuhören (neu) zu lernen.

Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, ich finde in der Zeitung – ein paar Jahre ist es her – folgende Anzeige: „Ich höre ihnen zu“. – Weiter nichts. „Ich höre ihnen zu“, das ist das Angebot. Ich weiß nicht, welchen Tarif dieser geschäftstüchtige Zuhörer hat. Ich frage mich nur: Wie weit ist es bei uns gekommen, dass Menschen dafür bezahlen müssen, dass ihnen jemand zuhört? – Leben sie denn unter lauter Tauben? Es scheint so. Darum brauchen wir auch das Heer der Psychologen. Sie sind in erster Linie Zuhörer. Professionelle Zuhörer. Ausputzer einer Gesellschaft, in der jeder für sich und mit dem Rücken gegen die andern lebt.

Es heißt zwar, wir würden heute in einer „Kommunikationsgesellschaft“ leben, weil alle mit dem Smartphone in der Hand herumlaufen. Doch diese ganze Technik ändert nichts am frostigen Klima unter den Menschen, jener Unterkühltheit, die uns der Zeitgeist als „Cool-Sein“ verkauft.

Auf Dauer ist Sprachlosigkeit tödlich für die Seele. Darum: Effata – öffne dich! – Benutze Mund und Ohren, die dir gegeben sind zum Kontakt mit deinen Mitmenschen!

„Kommt, reden wir zusammen“, appelliert Gottfried Benn in einem Gedicht, „kommt, reden wir zusammen: Wer redet, ist nicht tot.“

Effata – öffne dich: auch im Verhältnis zu Gott! – Nicht nur zum Dialog mit Menschen sind wir geschaffen, sondern auch zum Dialog mit Gott. Das ist sogar die höchste Bestimmung des Menschen, dass er von Gott gerufen ist und Gott im Gebet antworten darf. – Wie viele leben heute an dieser Bestimmung vorbei. – Religiöse Taubstumme in wachsender Zahl. Das Gebet ist verstummt. Der Draht nach oben tot. Das Herz abgestumpft. Abgekapselt, in sich selbst verkrümmt lebt man vor sich hin. Und merkt gar nicht, dass man an einer Behinderung leidet, dem spirituellen Autismus.

Vielleicht sind wir ja alle ein wenig von dieser Krankheit der Moderne infiziert. Ein Glück, dass die Krankheit nicht unheilbar ist. Genaugenommen hat jeder Getaufte die notwendige Therapie schon erhalten.

Das Machtwort des Herrn „Effata – öffne dich!“ wird nämlich auch bei der Taufe über den Menschen gesprochen. Da berührt der Zelebrant die Ohren und den Mund des Täuflings und sagt dazu: „Wie der Herr mit dem Ruf >Effata< dem Taubstummen die Ohren und den Mund geöffnet hat, öffne er auch dir Ohren und Mund, dass du sein Wort vernimmst und den Glauben bekennst zum Heil der Menschen und zum Lobe Gottes“.

Wir sind geöffnet für Gott. Wir haben den Zugang zum Vater und zum Sohn im Heiligen Geist. Wir können sprechen und hören, wenn wir nur wollen. Mögen doch viele Zeitgenossen diese Entdeckung machen, mögen sie zum geistigen Leben im Kontakt mit Gott erwachen.

Mögen die Tauben hören und die Stummen sprechen lernen!

Amen.