Auf das Kind schauen

Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis B (Mk 9,30-37)

Jesus stellt das Kind in die Mitte.
Ein Kind gibt er den Jüngern zum Vorbild. Auf das Kind sollen die Jünger schauen, am Kind sollen sie sich orientieren, vom Kind sollen sie lernen.
Normalerweise ist es ja gerade umgekehrt. Da gibt man den Kleinen die Großen zum Vorbild: So wie wir müsst ihr´s machen, wie wir Erwachsene müsst ihr werden, von uns Großen müsst ihr lernen.
Nein, sagt der Herr, die Erwachsenen müssen von den Kindern lernen. -Die Großen müssen werden wie die Kleinen, nicht die Kleinen wie die Großen. „Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet“, sagt er, „könnt ihr nicht in das Reich Gottes kommen!“ (Mt 18,3)
Jesus hat ein gutes, ein liebevolles Verhältnis zu den Kindern gehabt. Zweimal sind uns im Evangelium Begegnungen des Herrn mit Kindern überliefert, und jedes Mal wird berichtet, wie zärtlich er mit ihnen umgegangen ist, wie er sie in seine Arme genommen, geherzt hat.

Brüder und Schwestern, hat der Herr nicht recht, dass er uns Große auf die Kleinen hinordnet? Wenn wir Erwachsene uns einmal ehrlich anschauen und unsere Erwachsenenwelt, unsere ganz aufs Materielle, aufs Haben ausgerichtete Leistungs- und Wohlstandsgesellschaft: Sollen wir im Ernst wünschen, dass die Kinder so werden wie die heutigen Erwachsenen? – Nur Haben und Mehrhaben und Profit im Kopf? Geldverdienen und Geldausgeben, Spaß und Konsum als Quintessenz des Lebens? Sich durchkämpfen – wenn`s sein muss mit Ellenbogen; nach eigener Fasson – auch ohne Gott selig werden? Sollen wir den Kindern wünschen, dass sie einmal so werden?
Oder sollten nicht lieber wir Großen dazulernen und sehen, was die Kinder uns voraus haben?

Ja, was haben sie uns voraus? Was ist das Charakteristische am Kind?
Das Kind ist klein, und es ist abhängig von den Erwachsenen, von Mutter und Vater, und es blickt auf zu den Großen, fragend, bittend, vertrauend.
Dieser Aufblick nach oben – das ist es, was wir von den Kindern lernen müssen.
Nicht groß tun und groß sein wollen – und von oben auf die andern herabschauen, sondern klein sein vor Gott – und von Gott, unserem himmlischen Vater, alles erwarten und erhoffen und zu ihm mit felsenfestem Vertrauen aufblicken.
Genau das ist es, was die Jünger Jesu lernen mussten. Sie diskutierten, so hören wir im heutigen Evangelium, „wer von ihnen der Größte sei“ (Mk 9,34)..
Dabei kommt es auf das Umgekehrte an: Klein sein vor Gott. – Wirkliches Kind Gottes sein. Denn nur Kinder Gottes können ins Reich Gottes kommen.
So stellt uns der Herr das Kind vor Augen, als Vorbild, als Leitbild für unser ganzes Lebensgefühl: Sei selber Kind Gottes!
Und er legt uns die Kinder ans Herz: „Wer ein solches Kind aufnimmt um meinetwillen, der nimmt mich auf“ (Mk 9,37).
Das heißt: Wer ein Kind annimmt, nicht weil er es sich wünscht, weil es ein Wunschkind ist, sondern weil er auf Jesus und sein Gebot hört, der nimmt mit diesem Kind zugleich den Herrn auf.
Wie viele Kinder sind heute in unserem Land unerwünscht, dürfen gar nicht das Licht der Welt erblicken, weil sie nicht in den Lebensplan der Erwachsenen passen – oder weil sie gar einen Makel haben, behindert sind.
Wir dürfen es nicht verdrängen: 100.000 Kinder – das ist ein Siebtel eines ganzen Jahrganges! – werden jedes Jahr in Deutschland abgetrieben. Alle 5 Minuten eines.. Das ist doch schlimm. Da kann doch kein Segen drauf liegen. Da kann doch eine Gesellschaft keine Zukunft haben. Und zwar nicht nur, weil einmal Beitragszahler für die Rente fehlen…
„Wer ein solches Kind aufnimmt um meinetwillen, der nimmt mich auf. Wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern auch den, der mich gesandt hat“ (Mk 9,37). Welche Verheißung, welches Versprechen ist hier ausgesprochen.
Wer ein Kind annimmt, auch wenn es gar nicht gelegen kommt, wenn es die eigenen Pläne durchkreuzt; wer einem Kind Raum bei sich gibt, auch wenn es krank und behindert ist; wer ein solches Kind annimmt, allein weil er auf Jesus schaut und hört, weil er weiß, dass das Leben heilig und unantastbar ist und die Kinder die besonderen Lieblinge Gottes sind – wer das tut, zu dem kommt zusammen mit dem ungeplanten Kind Jesus ins Leben. – Zusammen mit dem Kind kommt Jesus – und mit Jesus kommt Gott in mein Leben und in meine Familie. Ganz real, ganz konkret.
Wenn das die Menschen wüssten, sie würden ihre unerwünschten Kinder mit anderen Augen betrachten. – Als eine Chance, eine vielleicht einmalige Chance, die Gott bietet.

Hoffen wir, dass die Menschen das wieder erkennen – oder vielmehr im Herzen spüren, dass sie dem Kind, auch wenn es Opfer kostet, Raum geben.
„Kinder sind eine Gabe des Herrn“, heißt es in Psalm 127, „die Frucht des Leibes ist sein Geschenk“. Und von dem indischen Dichter Tagore stammt der Satz:
„Jedes Kind bringt die Botschaft, dass Gott die Lust am Menschen noch nicht verloren hat“.

AMEN