Predigt zum 6. Sonntag im Jahreskreis B (Mk 1,40-45)
Es gab ein Gesetz in Israel, eine unerbittliche Vorschrift aus dem Dritten Buch Mose:
„Ein Mensch mit Aussatz ist unrein. Er soll eingerissene Kleider tragen und das Kopfhaar ungepflegt lassen. Er soll das Gesicht verhüllen und ausrufen: Unrein, unrein! Abgesondert muss er wohnen, außerhalb des Lagers muss er sich aufhalten“ (Lev 13, 44-46).
Aussatz – also Lepra, aber auch andere schwere Hautkrankheiten (wie Schuppenflechte) – machten den Menschen in Israel „unrein“ und damit zu einem Ausgestoßenen im Volk. – Grund: Die Ansteckungsgefahr, vor der man sich fürchtete, (obwohl sie vielleicht gar nicht immer wirklich gegeben war).
Die Unberührbarkeit, die Isolation des Kranken war das Grausamste beim Aussatz. Im Grunde war der Aussätzige so gut wie tot. – Ein Toter unter den Lebenden. Eine Schreckensgestalt für die anderen. Vor diesem Hintergrund müssen wir den Bericht des heutigen Evangeliums und das Befreiende darin sehen:
Jesus kennt keine Angst vor dem Aussatz und vor dem Aussätzigen.
Sofort als sich der Kranke ihm naht – was er ja eigentlich gar nicht dürfte, aber irgendwie muß es ihn unwiderstehlich zu diesem Jesus hingezogen haben – ohne Zögern steckt Christus die Hand aus und berührt den Aussätzigen. Und spricht das Machtwort: „Ich will es – werde rein“! (Mk 1,41)
Unverzüglich tritt die Heilung ein. Gesundheit und Leben sind dem Todgeweihten zurückgegeben. Wir verstehen, dass er dieses Wunder nicht für sich behalten kann, sondern überall verbreitet. Jesus wollte nicht, dass er eine Sensation aus der Heilung macht. Trotzdem wird der Geheilte zum Verkünder Jesu und seiner Macht, und er wird dafür vom Evanglium nicht getadelt.
Liebe Gemeinde, was uns da verkündet wird, stellt auch Fragen an uns:
Warum gibt es solche Heilungen durch den Glauben nicht auch heute, obwohl doch Jesus seiner Kirche diese Verheißung gegeben hat ? (z.B. Mk 16,18)
Oder ist das gar nicht so? Gibt es vielleicht auch heutzutage ganz unverhoffte und unerklärliche Heilungen und Wendungen zum Guten; nur dass wir davon nichts erfahren – oder – wenn wir gar selbst betroffen sind – die göttliche Hilfe nicht wahrnehmen und nicht davon erzählen?
Am 11. Februar wird jedes Jahr der „Gedenktag Unserer Lieben Frau von Lourdes“ begangen, der zugleich der Welttag der Kranken ist.
In Lourdes ist die heilende Macht Gottes bis heute Realität. Erst vor kurzem hat die internationale Ärztekommission die spontane Heilung eines Todkranken als „wissenschaftlich nicht erklärbar“ eingestuft – und damit als ein übernatürliches Geschehen.
Etwa 70 solche kirchlich anerkannten Wunderheilungen sind seid dem Jahre 1858 an der Grotte von Massabielle geschehen. Der Glaube der Pilger weiß aber von noch viel mehr, von unzähligen göttlichen Hilfen und Gnadenweisen dort, wo die Jungfrau Maria der heiligen Bernadette erschien und eine Quelle entspringen ließ. Lourdes ist nach Guadalupe in Mexiko der größte Wallfahrtsort der Christenheit. Lourdes ist darüberhinaus die internationale Heimat der Kranken, der Leidenden, der Behinderten.
Das beeindruckt einen: Wenn man die vielen Mühseligen und Beladenen dort sieht, wie sie voll Hoffnung kommen und gestärkt und aufgerichtet und – an der Seele immer, manchmal aber auch am Leib – geheilt gehen.
Katja Ebsteins Lied hat Recht: „Wunder gibt es immer wieder. Und wenn sie geschehen, mußt du sie auch sehen!“ – Wunder geschehen, manchmal im Großen, oft im Kleinen. – Man muss nur mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen und mit den Menschen reden und hören, was sie zu erzählen haben.
Wunder geschehen auch heute. Sie geschehen, damit die Menschen zum Glauben kommen. Damit sie erkennen: Jesus Christus ist der Herr, er ist der Herr auch über Krankheit und Tod. Er ist der Heiland, der Arzt für Seele und Leib.
Der Christ soll gewiss nicht wundersüchtig sein. Aber die entgegengesetzte Gefahr ist doch heute viel größer, dass man mit Gottes Macht gar nicht mehr rechnet.
Liegt nicht darin der Grund, warum wir Christen die gleiche Angst vor Krankheiten haben wie Ungläubige? Ja, es ist wahr: An der Art wie wir uns vor Krankheiten ängstigen, wie uns etwa das Wort Krebs paralysiert, daran können wir schon ablesen, wie es um unser Gottvertrauen in Wahrheit bestellt ist.
Die Alternative des Evangeliums lautet: Gottesherrschaft oder Herrschaft der Angst. Nichts, was in unserem Leben geschieht, unterliegt einer anderen Macht als der Herrschaft Gottes. Für Gott ist kein Ding unmöglich. Und was immer sein Wille ist, das ist gut für uns. „Wenn du willst, kannst du mich reinmachen“, sagt der Aussätzige und übergibt sich damit ganz dem Willen und der Verfügung des Herrn.
Diese Übergabe an Christus ist der entscheidende Akt – und der Anfang der Heilung. Und darin ist der Geheilte Vorbild und Ansporn für uns alle, ob krank oder gesund.
Und noch etwas lehrt uns das Evangelium von der Heilung des Aussätzigen. Es lehrt uns, wie Jesus auf den kranken Menschen zuzugehen.
Für den Aussätzigen war das Ausgestoßensein, die Isolation das Schlimmste. Diese Mauer durchbricht der Herr. – „Er hatte Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus und berührte ihn“ (Mk 1,41). Und so will Jesus es auch von seinen Jüngern. Er trägt es uns auf als Werk der Barmherzigkeit: „Ich war krank und ihr habt mich besucht …“ (Mt 25,36).
Auch hier brauchen wir offene Augen und Ohren und dazu ein mutiges und mitfühlendes Herz, dass wir die fremde Not nicht übersehen, sondern beherzt die Hand ausstrecken. In der Lesung des heutigen Sonntags sagt Paulus: „Ich nehme Christus zum Vorbild“ (1 Kor 11,1). – Nehmen auch wir Christus zum Vorbild, gerade in seiner Zuwendung zu den Kranken. So können wir zu Gliedern Christi werden, zu Boten seinen heilenden und barmherzigen Liebe.
Amen