Marienverehrung ist keine Erfindung der Kirche:

Predigt zum Magnificat (Lk 1, 39-56)


„Siehe von nun an preisen mich selig alle Geschlechter“ (Lk 1, 48). Dieser Satz ist die biblische Grundlegung der Marienverehrung. Maria kündet es selbst an, daß alle künftigen Generationen der Glaubenden sie seligpreisen werden für das Große, das Gott an ihr getan hat.

„Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“(Lk 1,42,43). Elisabeths Lobpreis ging ein in das bekannteste Mariengebet, ins „Ave Maria“, wo wir beten: „Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus“. Mit den Worten „die Mutter meines Herrn“ wird klar die Rolle Marias im Heilswerk benannt: Sie ist die Mutter des Herrn, die Mutter Gottes.

Der Gottesmuttertitel ist das marianische Grunddogma. Zu diesem Glaubensgeheimnis bekennen sich übrigens alle Konfessionen der christlichen Ökumene, alle, die sich auf das Große Glaubensbekenntnis der Kirche (das sog. Nizäno-Konstaninopolitanische Glaubensbekenntnis) gründen. Wie alle Glaubenswahrheiten übersteigt auch dieses Geheimnis unser menschliches Begreifen: Daß der große Gott, der Herr des Himmels und der Erde, Kind wurde im Leib Mariens, ist ein rational unauslotbares, nur im Glauben annehmbares Geschehen. Staunend, anbetend haben wir zur Kenntnis zu nehmen, daß Gott eine dramatische >Karriere nach unten< antrat, um die verlorene Menschheit von innen, von der Wurzel her zu heilen. Zu dieser Selbstentäußerung Gottes gehört auch die Tatsache, daß er sein Erlösungswerk vom Ja eines Menschen, genauergesagt: einer Frau abhängig machte. – Maria sollte die Frau sein, die Gott zur Welt brachte, die de r Welt den Erlöser schenkte. Wirklich: etwas Großes, zu dem Maria ausersehen war und Grund genug, sie seligzupreisen.

Und wie Maria es prophezeite, haben das auch alle Geschlechter der Christenheit auf ihre Weise getan. So ist die Geschichte der christlichen Kunst, besonders der Malerei gar nicht zu denken ohne die marianisch inspirierten Werke. „Ich sehe dich in tausend Bildern, Maria, lieblich ausgedrückt; doch keins von allen kann dich schildern, wie meine Seele dich erblickt“, bekennt Novalis, und bei Theodor Fontane lesen wir: „Wo die Madonna weilt, da weilt die Schönheit und die Freude“.

Es mag erstaunen, daß selbst Martin Luther in seinen Anfangsjahren der Gottesmutter durchaus zugetan war. So nennt er Maria in seiner Auslegung des „Magnificat“ „das allervornehmste Beispiel der Gnade Gottes“ und fordert: „Anrufen soll man Maria, daß Gott durch ihren Willen gebe und tue, was wir bitten“. Nicht nur von der Verehrung Marias ist hier die Rede, sondern auch vom Gebet zu ihr. Ganz im Einklang mit der theologischen Tradition geht Luther davon aus, daß Maria nicht nur eine verehrungswürdige Gestalt der Vergangenheit ist, sondern daß sie als Gottesmutter in Ewigkeit eine einzigartige Rolle bei Gott spielt. Maria, die auf Erden so innig und leibhaftig verbunden mit Christus war wie kein anderer Mensch, bleibt ihm auch im Himmel in unvergleichlicher Weise verbunden. Der Welt den Erlöser bringen – das war nicht nur eine vorübergehende Funktion Marias. Nein, der Welt, den Menschen den Erlöser Jesus Christus nahebringen: das ist der bleibende Personalcharakter Marias, ihre ewige Bestimmung.

Und das ist nicht nur etwas, was die Kirche lehrt, sondern eine Glaubenserfahrung von unzähligen Christen zu allen Zeiten und an allen Orten. „Maria hat geholfen“ wie oft kann man diesen Satz auf Votivtafeln an marianischen Gnadenorten lesen, an den großen wie Altötting, Tschenstochau, Lourdes, Guadalupe, aber auch unzähligen kleinen. Die Menschen vertrauen sich der mütterlichen Fürsorge Mariens an, wie sie exemplarisch im Evangelium von der Hochzeit zu Kana (Joh 2, 1-12) dargestellt ist. Eine andere Stelle aus dem Johannes evangelium ist in diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung, das Vermächtniswort des Herrn am Kreuz: „Frau, siehe, dein Sohn! Siehe, deine Mutter! (Joh 19,26 f.) Gemäß der schon bei den Kirchenvätern vertretenen Auslegung gibt Jesus hier in der Person des Lieblingsjüngers der ganzen Jüngergemeinde Maria zur Mutter. Von hier aus erklärt sich der Titel „Mutter der Kirche“ , den das 2. Vatikanische Konzil Maria verlieh.

Wir sehen: Marienverehrung ist keine Erfindung der Kirche. Sie beruht auf dem eindeutigen Zeugnis der Hl.Schrift und der auf ihr fußenden kirchlichen Überlieferung.

Marienverehrung hat auch nichts zu tun mit einer unangemessenen Vergöttlichung Marias, wie manchmal geargwöhnt wird. Immer schon hat die Kirche klar unterschieden zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf: Anbetung gebührt allein Gott, dem Dreifaltigen. Den Heiligen und besonders Maria gebührt Verehrung, d.h. Lobpreis und Bitte um Fürsprache bei Gott.

Wir brauchen auch nicht zu befürchten, daß wir Gott etwas wegnehmen würden, wenn wir zu Maria eine Gebetsbeziehung haben. Im Gegenteil: Gott ist es ja, der Großes an Maria getan hat und sie in einzigartiger Weise in das Erlösungsgeschehen einbezogen hat. So preisen wir nichts anderes als den Ratschluß und die Gnade Gottes, wenn wir Maria verehren. Im übrigen freut sich, wie einmal der hl. Bernhard von Clairvaux sehr einleuchtend sagt, jeder Sohn mehr, wenn seine Mutter geachtet und geehrt wird, als wenn sie von den Menschen übergangen und übersehen wird. So dürfen wir es auch von Marias göttlichem Sohn, Jesus Christus annehmen. Marienverehrung und Christusverehrung stehen also nicht gegeneinander, sondern wachsen miteinander. Dies zeigt sich übrigens deutlich an den marianischen Wallfahrtsorten: Die Intensität, mit der die Gläubigen dort an der Feier der Hl.Messe teilnehmen, die Sakramente empfangen, auf Gottes Wo rt hören hebt diese Orte von der sonst so verbreiteten Lauheit und Glaubensmüdigkeit ab.

Der Welt, den Menschen Christus nahebringen: das war und ist die Bestimmung der Gottesmutter. Gewiß, es gibt verschiedene Wege zu Christus man muß nicht über Maria gehen (wobei Maria objektiv immer mit dem Erlösungsgeschehen verbunden ist).

Man muß nicht über Maria gehen, aber man darf !

Eine gesunde marianische Spiritualität verleiht dem Glauben Wärme und Glanz und verhindert, daß wir als allzu gedrückte und verbiesterte Christen unsern Weg gehen. Maria verkörpert auch das weibliche Prinzip in unserer Religion. Ist es nicht bemerkenswert, daß wir „Unsere Liebe Frau“ als Vorbild aller Christen, als Erst- und Ganzerlöste verehren? Eine Frau steht an der Spitze der Kirche, kein Mann! Wäre es da nicht widersinnig, wenn gerade wir sogenannten „modernen“, für die Rechte der Frau sensibilisierten Christen Maria vom Sockel stoßen wollten?

Nein: Schließen wir uns lieber an die Quellen unseres Glaubens an und stimmen wir ein in das Marienlob aller Generationen:

„Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes!“

Amen.