Ihr werdet ein Kind finden

Predigt in der Heiligen Nacht

Wir feiern die Geburt Christi.
Und wir feiern damit das wichtigste Ereignis der Menschheitsgeschichte.
Die Zeitrechnung der Menschheit beruht auf diesem Datum: Wir zählen die Jahre vor und nach Christi Geburt. Und das tun alle Menschen – ob gläubig oder nicht. Auch diejenigen, die nichts mit Weihnachten anfangen können, die heute nicht an Gott und an Jesus denken, auch sie alle werden in einer Woche in einem neuen Jahr des Herrn leben – im Jahr 2010 nach Christi Geburt – und wenn sie dann diesen Jahreswechsel an Silvester vielleicht mit rauschenden Partys feiern , dann wissen die meisten gar nicht, was sie da eigentlich feiern…

Die Geburt Christi ist die Achse der allgemeinen Zeitrechnung, der Mittelpunkt der ganzen Geschichte. – WARUM?
Weil vor 2009 Jahren, in dieser Heiligen Nacht von Bethlehem, Gott, der Schöpfer, der Herr des Himmels und der Erde, in die Geschichte eingegriffen hat; weil Gott einen neuen Anfang in der Geschichte gesetzt hat. Bis dahin war sie eine trostlose Tragödie – ohne Sinn, ohne Hoffnung, voller Blut und Tränen.
Jesaja lässt das in der heutigen Lesung anklingen: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht…Du zerbrichst das drückende Joch, das Tragholz auf unserer Schulter und den Stock des Treibers. Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, der mit Blut befleckt ist, wird ein Raub der Flammen“ (Jes 9,1-4).
Das haben die Menschen aus der Welt gemacht. Aber jetzt greift Gott ein.
Er kommt zur Welt, im wahrsten Sinn des Wortes. In Jesus kommt Gott auf die Welt, wird selber Mensch, um von innen her, von der Wurzel her die Menschheit zu heilen. Es ist klar: Wenn Gott, der Herr, das tut, wenn er selber in die Menschheitsfamilie eintritt, dann muss dies das Schlüsselereignis, der Wendepunkt, die Schicksalsstunde der Geschichte sein – und mit Recht die Achse der Zeiten.

Gott kommt zur Welt. Das ist das eine, das ist das erste Geheimnis der Heiligen Nacht, das Wunder von Weihnachten. Aber nun schließt sich noch ein zweites Geheimnis an. Wenn wir schauen, wie Gott zur Welt kommt.
Kommt er in Glanz und Gloria, in Macht und Herrlichkeit, so dass alle es sehen und es zur Kenntnis nehmen und vor Gottes Sohn in die Knie gehen?
Nein, Gott kommt ganz anders. Er kommt in der Stille der Nacht, an einem entlegenen Ort, draußen vor den Toren der Stadt, als kleines Kind, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegend.
Das ist das Zeichen der Ankunft Gottes auf Erden: Das Jesuskind im Stall von Bethlehem.
Dahin schicken die Engel die Hirten, zu diesem Kind in der Krippe:
„Das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden“ (Lk 2,12).
Mehr gibt es nicht zu sehen in dieser Heiligen Nacht, keine Sensation, kein Spektakel, nur das neugeborene Kind in der Krippe, umgeben von Maria und Josef. Und die Hirten eilen hin, sehen das und glauben: Ja, das ist der Erlöser! Gott ist zu uns gekommen, hat sich unser erbarmt. Und es heißt dann: „Und die Hirten rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatten“ (Lk 2,20).

Liebe Christen, auf das Kind in der Krippe schauen wir heute. Es wird uns gesagt: Das ist dein Erlöser. Nimm dieses Kind im Glauben an, schließe es in dein Herz – so schenkt Gott dir seine Liebe.
Auf das göttliche Kind schauen; im Glauben schauen, mit den Augen des Herzens schauen, das heißt eigentlich Weihnachten feiern. Und dazu lädt uns jetzt alles ein, die Liturgie dieser Nacht, die bekannten Weihnachtslieder, die Krippe, die vielen Bilder von der Geburt Jesu, die wir vielleicht auf Weihnachtspostkarten bekommen haben. – Schauen wir das alles einmal bewusst an, vertiefen wir uns in das göttliche Kind; vielleicht ahnen wir, was Gott damit sagen will.
Ein großer Heiliger, Bernhard von Clairvaux, hat es so verstanden:
„Magnus Deus et laudabilis nimis“, – groß ist Gott, der Schöpfer der Welt, und überaus lobenswert. „Parvus Deus et amabilis nimis“, – klein ist Gott in Jesus geworden – und überaus liebenswert. Diese Spur stimmt. Den großen Gott können wir verehren, das Jesuskind können wir lieben.

Das Zeichen des Kindes – das Geheimnis von Weihnachten.
Jesus wird später, als er öffentlich auftritt, selbst das Kind in die Mitte stellen. Als sich die Jünger streiten, wer von ihnen der Größte ist, stellt Jesus ein Kind in ihre Mitte:
„Wer so klein sein kann wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte“ (Mt 18,4). Klein sein wie ein Kind. Gott selbst ist klein geworden als Kind. Er der Höchste wurde der Kleinste. Wir aber wollen groß sein und uns behaupten, die anderen übertrumpfen und überragen. Diese Großmannssucht, dieser Selbstbehauptungswille ist der falsche Weg.
„Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet“, sagt der Herr, „könnt ihr nicht in das Reich Gottes kommen“ (Mt 18,3).
In das Reich Gottes kommen nur die Kinder Gottes. Deshalb: bekommen wir Fühlung mit dem Kind in uns. Auch dazu lädt ja Weihnachten ein. Mit all den Erinnerungen an die Kindheit. Wie wir uns freuen konnten, staunen konnten, gespannt warteten, um am Heiligen Abend einzutreten in eine verzauberte Welt. Nur wenn ihr so wieder werdet – mit diesem offenen, vertrauenden, begeisterungsfähigen Herz der Kinder – werdet ihr in das Reich Gottes eintreten.
Geben wir dem Kind Raum in uns. Und geben wir auch den Kindern Raum in unserem Leben. Jedes neue Menschenkind ist ein neues Wunder. Und wenn wir in leuchtende Kinderaugen schauen, dann ist die Welt wieder in Ordnung und wir wissen wieder, wie Gott den Menschen eigentlich gedacht hat.
Und deshalb ist es eine Quelle der Freude und der Hoffnung, wenn wir Kindern Platz geben in unserem Leben – ob es die eigenen sind oder andere.
Und haben wir besonders ein Herz für solche Kinder, die in ähnlicher Armut leben, wie sie einst der Sohn Gottes bei seiner Geburt in Bethlehem erfahren hat.

Das Zeichen der heiligen Nacht: das kleine Kind in der Krippe, das göttliche Kind.
Der Dichter Clemens Brentano hat dieses Geheimnis so ausgedrückt:

„Welch Geheimnis ist ein Kind!
Gott ist selbst ein Kind gewesen.
Weil wir Gottes Kinder sind,
kam ein Kind, uns zu erlösen.
Wer dies einmal je empfunden,
ist den Kindern durch das Jesuskind verbunden“.

Amen.