7.Sonntag der Osterzeit C (Joh 17,20-26)
Von Hermann Hesse gibt es ein Gedicht mit dem Titel: „Im Nebel“, dessen letzte Strophe heißt:Seltsam, im Nebel zu wandern,
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.
Kein Mensch kennt den andern, jeder ist allein. – Eine sehr pessimistische Aussage über den Menschen und seine hiesige Existenz. Und doch spürt man intuitiv, daß an dieser Einschätzung etwas dran ist, daß der Mensch, wenn er auch noch so viele Freunde und Verwandte hat, und noch so viele gesellschaftliche Aktivitäten, daß er im letzten doch allein auf sich selbst gestellt und geworfen ist. Und das gilt sogar noch von den persönlichsten Beziehungen in der Familie und in der Ehe: Auch hier gibt es, selbst wenn die Beziehungen gut und harmonisch sind, eine letzte Grenze, eine letzte Distanz und Fremdheit, die einen vom andern trennt – so, „wie das Fenster eines Telephonhäuschens zwei voneinander trennt“. Das ist ein Wort von Camus, ein sehr anschauliches Bild, man steht sich direkt gegenüber, man sieht sich, und doch ist da eine unsichtbare, aber undurchdringliche Wand dazwischen.
Nun steht dieser lebensweltlichen Erfahrung des Einsamseins und des Einander-fremd-Seins diametral entgegen das Wort Jesu im heutigen Evangelium: „Alle sollen eins sein. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein. Sie sollen eins sein, wie wir eins sind. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast.“ – Es gibt also eine Antwort auf das Einsamsein und Fremdsein des Menschen in dieser Welt, und diese Antwort ist – Gott. Gott ist nämlich das Gegenteil von Einsamkeit, Gott ist die Liebe. Gottes Wesen ist die liebende Gemeinschaft von Vater und Sohn im Heiligen Geist. Am Dreifaltigkeitssonntag wird uns dieses Liebesgeheimnis der Dreieinigkeit wieder vor Augen gestellt werden. Und nun verspricht uns Christus, daß wir, wenn wir zu Ihm gehören, Anteil erhalten an dieser göttlichen Liebe, die Ihn mit dem Vater eint. Daß also sozusagen eine übernatürliche Einheit entsteht unter allen, die glauben. Daß hier Verbindungen geschaffen werden durch den Heiligen Geist, die alle menschlichen und natürlichen Grenzen überwinden, und die den Einzelnen hineinnehmen in eine neue Art von Familie.
Es ist doch auffällig, daß sich die Christen im Neuen Testament, die Christen der Urkirche, die ein bunt zusammengewürfelter Haufe waren – zum Teil jüdischer Herkunft, zum Teil Griechen, zum Teil Sklaven, zum Teil Freie -, daß sie sich alle von Anfang an ansprechen als Bruder und Schwester und auch wirklich so verstehen: als eine neue, vom Heiligen Geist gestiftete Familiengemeinschaft, ja noch mehr, als ein Organismus, ein zusammengehöriger Organismus. Paulus sagt: Die Kirche ist der Leib Christi, Christus ist das Haupt, und ihr alle seid ein Glied daran. Einen zusammengehörigen Blutkreislauf bildet die Kirche also. „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele, keiner nannte etwas von seiner Habe sein Eigen, sondern sie hatten alles gemeinsam.“ – Sie kennen diese Stelle aus der Apostelgeschichte. Gewiß, das war das Frühlingserwachen der Kirche, die Begeisterung des Anfangs, und doch – die Einheit in Christus, und das Faszinierende dieser Einheit kann man auch heute erfahren.
Zum Beispiel: Die Einheit der Weltkirche. Unsere katholische Kirche ist die größte Religionsgemeinschaft der Welt mit einer Milliarde Mitgliedern aus allen Nationen und Sprachen und Kulturen, ein wahrhaft buntes Gewimmel, und doch eins im selben Glauben, in derselben Liturgie. Auf dem Altar jeder katholischen Kirche an diesem Sonntag liegt dasselbe Meßbuch, das hier auf dem Altar liegt. Ist das nicht groß, diese Einheit in der Liturgie, und die Einheit in der Zugehörigkeit zum Stuhl Petri, zum Apostolischen Stuhl? – Ich denke noch gern zurück an unsere Romfahrt, wie wir in den Petersdom am frühen Morgen hereinkommen, und merken, wir sind hier nicht im Ausland, wir bestaunen nicht irgendein Kulturdenkmal, nein, wir betreten unsere eigene Kirche, unsere eigene Mutterkirche, und wir haben das Recht, hier die Messe zu feiern, genauso wie die Gruppen aus den anderen Nationen. Wahrhaft großartig, diese universale Einheit.
Auch in unseren Pfarreien kann man etwas von der Einheit und Einmütigkeit in Christus spüren, wenn man sich nur einmal mit offenen Augen umschaut, wieviele da mitwirken und zusammenwirken, wieviele am selben Strang ziehen, wieviele aus ganzem Herzen einen Beitrag zu geben versuchen dafür, daß die Kirche wieder aufblüht.
Die Einheit und Einmütigkeit in Christus ist eine Gnadengabe des auferstandenen Herrn an Seine Kirche, ebenso wie der Friede und die wirkliche, echte Freude. Die Einheit ist aber auch eine uns gestellte Aufgabe, wir dürfen sie nicht verspielen. Christus ist das Zentrum und die Mitte der Kirche. Einheit entsteht dann, wenn alle sich auf die eine Mitte ausrichten, und auf diese eine Mitte zugehen. Und je weiter wir auf Christus zugehen, desto näher rücken wir uns automatisch auch untereinander. Wo man sich aber von der gemeinsamen Mitte abkehrt, Sonderwege einschlägt und nur noch Eigeninteressen verfolgt, da geht die Einheit verloren. Darum ist es so notwendig, daß alle in der Kirche, Priester wie Laien, sich immer wieder selbstkritisch überprüfen: Welche Richtung verfolge ich eigentlich, und welchen Weg gehe ich? Ist es noch der Weg des Glaubens der Kirche und des Gebotes der Liebe, oder gehe ich nicht schon einen Holzweg und müßte den Kurs korrigieren? Die Kirche erneuert sich immer nur in dem Maße, und gewinnt in dem Maße die Einheit, wie jeder einzelne bereit ist, sich zu bekehren.
Liebe Gläubige, wir gehen auf das Jahr 2000 zu, dieses wahrhaft historische Datum. Unser Papst, übrigens der 265. Nachfolger Petri – also die katholische Einheit nicht nur geographisch, sondern auch historisch, nicht nur weltumspannend, sondern auch zeitumspannend – unser Papst ist der Überzeugung, daß Gott für dieses Heilige Jahr 2000 eine besondere Gnade bereithält für die Kirche, aber auch für die ganze Menschheit. Darum sein dringender Appell, daß alle sich vorbereiten sollen auf die Jahrtausendwende, durch ein neues Anfangen mit dem Christsein, und wieder ein entschiedeneres Lebenszeugnis im Glauben. Wir müßten gemäß dieser Vision, liebe Gläubige, in unseren Kirchengemeinden so etwas werden wie eine Pilgerschar, eine Pilgergemeinschaft, die lange Rast gemacht hat, beinahe zu lange, und dabei das Ziel schon fast aus den Augen verloren hat, die aber jetzt wieder aufbricht und mit neuem Elan Christus entgegengeht. Und wir müßten versuchen, möglichst viele, die am Wege stehen, mitzunehmen und dazuzugewinnen – solche, die jetzt noch distanziert sind und abwarten, in denen aber im Grunde auch die Sehnsucht nach der göttlichen Liebe schlummert.
So miteinander gehen, einander bestärken und stützen im Glauben, in dieselbe Richtung schauen, nämlich auf den einen Herrn Jesus Christus, und dann schließlich am selben Ziel ankommen, das wäre wohl etwas von der Einheit, die Christus uns verheißt. Gott schenke sie uns. Amen.