Predigt zum 13. Sonntag im Jahreskreis B
(Mk 5,21-43)
Es gibt wenig Erzählungen im Neuen Testament, in denen uns die Gestalt des Heilandes Jesus so plastisch, so anschaulich vor Augen geführt wird. – „Heiland“ – dieser Name für Jesus ist aus der Mode gekommen, klingt altertümlich. Dabei ist er sehr treffend: Jesus ist der Heil-bringer und der Heilende, der, der uns an Leib und Seele gesund macht.
So schauen wir uns den Heiland des heutigen Evangeliums einmal genauer an.
Wir sehen Jesus inmitten seiner Jünger, umdrängt von einer großen Menschenmenge. Alle wollen den Wunderrabbi sehen, dessen Ruf sich nach den ersten Heilungen und Dämonenaustreibungen in Windeseile verbreitet hat.
Jesus ist eine Sensation. Die meisten freilich kommen auch nur aus Sensationslust und Neugier. Sie sehen in Jesus den Wunderdoktor und Magier, keineswegs den Heiland: das heißt den Messias und Retter Israels.
Da drängt sich einer durch die gaffende und lärmende Menge. Ein gesetzter Herr ist es, vornehm gekleidet, der Synagogenvorsteher Jairus. Er fällt Jesus zu Füßen und fleht ihn um Hilfe an. Ein außergewöhnliches Schauspiel. Eine hochgestellte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens erniedrigt sich derartig vor dem Wanderprediger aus Nazareth. Dabei haben doch die Schriftgelehrten und Pharisäer bereits den Beschluß gefaßt, Jesus zu beseitigen. Aber irgend etwas sagt dem Jairus: jetzt oder nie. Dieser Jesus – egal was die Leute sagen – ist deine einzige Rettung. Es geht ja um mein einziges Kind. „Meine Tochter liegt im Sterben, komm und mach sie gesund“. Und Jesus geht mit ihm (Mk 5,23).
Aber er kommt nicht weit. Die an Blutfluss leidende Frau tritt dazwischen. Mit wenigen Strichen zeichnet das Evangelium die Leidensgeschichte dieser Frau. Zwölf Jahre schon leidet sie an Blutungen. „Sie war von vielen Ärzten behandelt worden und hatte dabei sehr zu leiden; ihr ganzes Vermögen hatte sie ausgegeben. Aber es hatte ihr nichts genützt, sondern ihr Zustand war immer schlimmer geworden“ (Mk 5,26).
Wirklich, eine Leidensgeschichte, die das Leben schrieb. Eine Geschichte, die auch heute viele durchmachen. Sie rennen von Arzt zu Arzt mit ihrem Leiden. Und das schon seit Jahren. Der eine verschreibt dies, der andere verordnet jene Behandlung. Immer wieder Hoffnung: Der wird mir helfen. Und immer wieder Enttäuschung. Das Vermögen geht heute zwar nicht mehr darauf. Aber die Lebensfreude. Wenn die Krankheit das ganze Leben beherrscht; und die Einsicht reift: Die Ärzte können mir nicht helfen. Sie machen im Grunde alles nur noch schlimmer.
Die Frau hatte von Jesus gehört, heißt es. Und als sie ihn jetzt vor sich sieht, erkennt sie: Der und allein der kann dir helfen. Dieser Jesus ist deine letzte Chance.
Und wie der Synagogenvorsteher tut sie etwas Unerhörtes. Sie drängt sich an Jesus heran und berührt ihn. Das ist nach dem Gesetz streng verboten. Mit ihrer Krankheit ist sie unrein und darum unberührbar. Sie muß Körperkontakt strengstens meiden. Durch ihre Berührung macht sie den andern ebenfalls unrein. Sie weiß das. Aber ihre Not ist größer als die Furcht vor Strafe. Und als sie zitternd vor Furcht vor Jesus niederfällt und ihm alles beichtet, da kommt kein Vorwurf, sondern eine Bestätigung: Du hast recht getan: Du glaubst an mich. „Geh in Frieden. Du sollst von deinem Leiden geheilt sein“ (Mk 5,33).
Und der dritte und letzte Akt des Dramas. Während Jesus noch mit der blutflüssigen Frau befaßt ist, stirbt die Tochter des Jairus. Ziemlich roh wird dem Jairus das berichtet: „Deine Tochter ist gestorben. Was bemühst du den Meister noch länger?“ (Mk 5,35)
Aber Jesus hat nun einmal versprochen zu helfen: Und da er nicht nur irgend ein Wunderdoktor ist, sondern der Heiland, weiß er, daß auch der Tod für ihn kein Hindernis ist. Darum bleibt er dabei: Er wird das Mädchen heilen. „Glaube nur!“ spricht er dem Jairus Mut zu (Mk 5,36).
Allerdings läßt er jetzt die Menge nicht mehr mitkommen. Er nimmt nur den engsten Jüngerkreis ins Haus mit. – „Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur“ (Mk 5,39). Die Leute lachen ihn aus. Diese Notiz beweist, daß die Leute nicht viel Respekt vor dem Herrn haben. Jesus aber möchte aus der Totenerweckung keine weitere Sensation machen. Er weiß, daß er sich dann vor dem Zulauf der Masse nicht mehr retten könnte. Darum schwächt er im voraus das Wunder ab: Das Mädchen schläft nur.
Die Klageweiber, Nachbarn und Schaulustigen drängt er nun alle aus dem Sterbezimmer. Nur noch die Eltern und die Jünger läßt er bei sich. Er faßt die Tote an der Hand – auch das eine Übertretung der Reinheitsvorschriften, aber Jesus kennt eben keine Berührungsängste – und dann: „Talita kum“ (Mk 5,41).
Liebe Gläubige, dieses Talita kum heißt keineswegs „Mädchen steh auf“, wie es in unserer Übersetzung heißt. Nein, so nüchtern hat Jesus in diesem Moment nicht gesprochen. Talita heißt: „Lämmchen“. Ein hebräisches Kosewort: Kleines Lamm, Lämmchen.
„Lämmchen, steh auf“, sagt Jesus zu der Zwölfjährigen.
Wieviel Zärtlichkeit, wieviel Wärme, wieviel erbarmende Liebe ist in diesem Wort.
Und auf dieses Wort des Herrn hin erhebt sich das Kind sofort und steht auf. Die Eltern sind fassungslos.
Aber im Grunde ist es doch ganz natürlich: Wie soll der Tod Bestand haben können vor dem Herrn des Lebens?
Was ist nun die Botschaft dieser Heilungsgeschichten für uns? Es sind Beispielgeschichten. Sie fordern uns zur Nachahmung auf. Wir sollen uns den Jairus und die leidende Frau zum Vorbild nehmen. Das heißt, wir sollen – wie sie – auf Jesus allein unsere ganze Hoffnung setzen. Wir sollen ihn suchen und um Hilfe anflehen in den ganz konkreten Leiden und Nöten unseres Lebens.
„Glaube nur, daß ich dir helfen kann“ – dieses Wort des Heilands ist zu jedem von uns gesprochen. Und er wird uns helfen. Vielleicht nicht gleich so sensationell wie im Evangelium (obwohl es auch heute noch Wunderheilungen gibt). Nein, die äußere Sensation ist nicht das Entscheidende. Sondern dass uns mit diesem Heiland Jesus Christus auf jeden Fall geholfen ist. Dass wir in seiner Nähe heil werden, von innen her: Dessen dürfen wir gewiß sein.
Und von nichts und niemandem, von keiner Macht der Welt, von keiner öffentlichen Meinung, keinem Zeitgeist, von keinen Freunden und Bekannten, von keiner ungläubigen Umgebung dürfen wir uns diesen kindlichen Glauben an den Herrn ausreden lassen. Denn Er ist wirklich unsere einzige Rettung.
Amen.