Das Wunder der Menschwerdung Gottes

Predigt an Weihnachten

Zur Feier der Geburt Christi versammelte Gläubige,

manche von Ihnen sind vor einigen Stunden – heute Nacht – in der Christmette gewesen und haben noch das Evangelium der Heiligen Nacht im Ohr,
die Weihnachtsgeschichte, die uns der Evangelist Lukas überliefert:.Von der Geburt des Jesuskindes in einem Stall in Betlehem in den Tagen des Kaisers Augustus.
Das heutige Evangelium, das Evangelium des Weihnachtsmorgens, klingt ganz anders: Nicht von der Geburt des Jesuskindes in Betlehem hören wir; sondern von dem Ursprung des Sohnes Gottes aus der Ewigkeit des Vaters.
Wir hören, wie von Ewigkeit her, von allem Anfang an, Gott-Vater den Sohn bei sich hat; den eingeborenen Sohn, der an der Brust des Vaters ruht. Und wie dieser geliebte Sohn Gottes aus der Ewigkeit des Vaters zur Welt kommt, Fleisch annimmt, Mensch wird; um uns Kunde vom Vater zu bringen, um uns heimzuholen zu Gott.

Liebe Mitchristen, es hat einen tiefen Sinn, dass wir heute am Weihnachtsmorgen diese Worte hören. Sie sind die notwendige Hintergrundinformation zum Heiligen Abend.
Weihnachten ist mehr als ein schönes Kindermärchen aus uralten Zeiten; Weihnachten ist mehr als bloß eine anrührende Geschichte vom armen Kindlein, das im Stall zur Welt kommt, bei Ochs und Esel. – Wir feiern nicht die Geburt eines lieben Kindes, eines besonderen Menschenkindes, wir feiern die Geburt des Sohnes Gottes.
Das heißt Weihnachten: Gott kommt zur Welt. Gott kommt in seinem wesensgleichen, ewiggezeugten Sohn auf die Welt, die durch eben diesen Sohn geschaffen wurde.
Der Herr kommt in sein Eigentum. Der Schöpfer in seine Schöpfung (Joh 1,10-11).
Liebe Gläubige, haben wir eine Ahnung davon, was diese Worte bedeuten, welchen ungeheuren Horizont sie aufschließen?
Wissen wir eigentlich, wie groß Gott ist? Unsere Erde kreist um die Sonne. Diese Sonne ist eine Million mal so groß wie die Erde. – Dennoch ist sie ein Zwergstern in unserer Galaxie. – Denn unsere Galaxie umfasst mindestens hundert Milliarden viel größerer Sonnen, die wiederum alle ihr eigenes Planetensystem haben. – Und das ganze Universum wiederum umfasst hundert Milliarden Galaxien.
Und nun sagen wir, dass der göttliche Schöpfer und Erhalter dieses unermesslichen Universums auf die Welt kommt. Dass er selbst ein Geschöpf wird auf dem Staubkörnchen, genannt Planet Erde; und das alles, um die Erdenbewohner zu retten.
Wie wichtig müssen wir Menschen dem Schöpfer sein, dass er solch eine unglaubliche >Karriere nach unten< antritt. – „Wie hoch Gott dich einschätzt, magst du daran erkennen, dass er für dich Mensch geworden ist“, sagt der hl. Bernhard von Clairvaux. Und Augustinus nennt die Menschwerdung Gottes das größte Wunder, das je geschehen ist, noch wunderbarer als die Erschaffung und Ausgestaltung der Welt. Und viele gab und gibt es, die an dieses Wunder der Menschwerdung Gottes nicht glauben möchten. So heißt es schon in unserem Evangelium: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht“ (Joh 1,10-11). Von den meisten seiner Zeitgenossen ist Jesus nicht geglaubt worden; sie nahmen ihn nicht an als ihren Herrn und Gott; sie hielten ihn für den Sohn des Zimmermanns Josef und stießen sich an ihm, an seinem Auspruch: „Wer mich sieht, sieht den Vater; ich und der Vater sind eins“. Das war vielen eine Zumutung, unerträglich (vgl. Joh 6,42; Joh 14,9; Joh 10,30). Auch in der Kirche musste die Gottheit, das Gottmenschentum Jesu Christi immer wieder verteidigt werden gegen Zweifler und Leugner, die in Christus nicht mehr sehen wollten als einen besonderen, großartigen Menschen, einen Propheten, aber eben nicht: Gott. Die großen Konzilien der ersten Jahrhunderte schrieben den wahren Glauben dann endgültig fest und überlieferten ihn uns im Glaubensbekenntnis. Hier hat auch das Weihnachtsfest seinen Ursprung: Es sollte den Glauben an die Gottheit Jesu lebendig und im Bewußtsein der Christen halten. So wird auch heute wieder überall auf der Welt Weihnachten gefeiert. Aber wird der Herr auch wirklich angenommen und aufgenommen im Glauben? Wird Christus wirklich angebetet? Oder ist er nicht für viele bloß eine historische Gestalt, von der gewiss nicht meine Existenz abhängt? „Denen, die ihn aufnahmen, gab er Macht Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben“ (Joh 1,12). Diese Verheißung ist uns gegeben: Wenn wir den Sohn Gottes wirklich annehmen und anbeten, wenn wir auf ihn sehen und ihm nachfolgen, dann wird er uns zu Kindern Gottes machen und Gnade über Gnade schenken. Darum: Wenn wir jetzt gleich beim Glaubensbekenntnis die Knie beugen bei den Worten: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er von Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen und ist Mensch geworden“, dann soll das Ausdruck unserer inneren Haltung sein, unseres Glaubens Dann wird uns auch der Segen des Erlösers Jesus Christus zuteil. Amen