Das Licht scheint in der Finsternis

Predigt zum Ersten Advent

Das sprechendste Symbol der Adventszeit ist das Licht, das im Finstern scheint.
Das Licht der Kerzen auf dem Adventskranz: es ist ein lebendiges, warmes Licht, kein kaltes Neonlicht.
Langsam zunehmend von der ersten bis zur vierten Woche des Advents scheint der Adventskranz immer heller, bis sein Licht schließlich einmündet in das Lichtermeer des Christbaumes. Auch die Roratemessen im Advent haben ihren ganz eigenen Zauber. Die Kirche am frühen Morgen oder am Abend ganz dunkel, nur erleuchtet vom Schein der Kerzen, die vor jedem brennen – das lässt niemanden unberührt. Da versteht jeder mit dem Herzen unmittelbar, um was es geht: Die Welt ist dunkel und kalt, aber es ist uns ein Licht geschenkt, das uns erleuchtet und wärmt.
„Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“, so werden wir es im Evangelium an Weihnachten hören – es ist der Anfang des Johannesevangeliums (Joh 1,9). „Das  wahre Licht“, heißt es. Denn es gibt auch viel trügerisches Licht, Irrlichter, die uns verwirren, auf falsche Wege locken, Blendwerk und falschen Feuerzauber. Und es gibt das kalte, gnadenlose Licht der technisierten Computerwelt, in der die Seele des Menschen verkümmert.
Das „wahre Licht“ ist der, der von sich sagt: „ Ich bin das Licht der Welt, wer zu mir kommt, wird nicht im Finstern tappen, sondern das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,2). Wir brauchen das Licht des Lebens. Wir brauchen den, der unsere Finsternis erleuchtet. Denn die Welt ist finster. Trotz allem Neonlicht und aller Leuchtreklame. Das sehen wir doch jeden Abend in den Nachrichten – oder lesen es in der Zeitung. Wie viel Leid, wie viel Böses, wie viele Tragödien. – Und die Menschheit, die technisch hoch entwickelte, globalisierte Welt steht ohnmächtig davor. Es ist eben heute wie zu allen Zeiten: der Mensch kann aus eigener Kraft der Dunkelheit nicht Herr werden.
Übrigens: auch nicht der Dunkelheit im eigenen Herzen. Wir alle, jeder einzelne von uns ganz persönlich ist angewiesen auf das Licht Christi. Denn wie steht es mit uns? Ist es in mir nur hell und klar und freundlich; oder lasten nicht viele schwarze Wolken über meinem Seelenleben: Ängste und Sorgen, die mich gefangen halten. – Und all das Negative in uns: Ärger, Verbitterung, Zorn, Antipathien, das verfinstert unser Gemüt – und auch unsere Miene…

In der Bergpredigt sagt Jesus: „Das Auge gibt dem Körper Licht. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Körper hell sein“ (Mt 6,22). Was der Mensch im Auge hat, das prägt ihn. Wenn wir das Licht im Auge haben, wenn wir zum Licht schauen, wird es hell in uns. Wenn wir uns wegdrehen vom Licht, in uns verschließen, dann wird es langsam aber sicher immer finsterer werden.
Darum: „Richtet euch auf und erhebt euer Haupt!“ (Lk 21,28) Das ist die Botschaft des Advents. – Richte dich auf, Mensch, aus deiner Verkrümmung in dich selbst, aus all den Geschäften und Sorgen des Alltags. Schau auf zum Herrn, deinem Gott, stell dich ganz in sein Licht, und nimm das Licht des Lebens in vollen Zügen auf. Damit es endlich wieder hell und warm wird in dir – in deinem Seelenleben und im Miteinander mit den Anderen. Damit du wieder etwas ausstrahlst, damit du selbst deinen Mitmenschen Licht auf dem Weg bist.

Dazu, liebe Gemeinde, wollen wir die vor uns liegenden Wochen des Advents nutzen. Sie sind in jedem Jahr eine besondere Chance, innehalten und uns neu auszurichten auf das Licht. Begehen wir die Adventszeit bewusst, daheim in der Familie und hier in der Kirche. Eines muss uns klar sein: Die Welt erlaubt uns keinen sinnvollen Advent. Die Welt will, dass der Rubel rollt und wir alle brave Konsumenten sind. Und dazu sollen wir mit unsäglichem Weihnachtskitsch weichgekocht werden… Wer dem etwas entgegenhalten will, wer einen alternativen Advent sucht, der muss sich an die Kirche halten, der muss die Liturgie des Advents mitfeiern an den Sonntagen und auch einmal am Werktag. Dann gewinnt der Advent wieder etwas von seiner eigentlichen Gestalt und seinem Sinn zurück. Und das färbt dann auch aufs Alltagsleben ab. Wir werden sensibler für das, was gut tut und das, was stört. Und dann werden ein paar Minuten, die ich in die stille Flamme der Kerze schaue, wichtiger sein als vieles andere, was mich ruft.