Pfarrer Dr. Johannes Holdt
Die Pfarrer – Frontsoldaten der Pastoral in der säkularen Welt
Auf dem Weg zu seiner neuen Pfarrei fragt der Pfarrer von Ars einen Jungen nach dem Weg. Er bedankt sich für die Auskunft mit den Worten: „Du zeigst mir den Weg nach Ars. Ich zeige dir den Weg zum Himmel!“ – Der Priester: ein Wegweiser zum Himmel, eine lebendige Erinnerung an das, was größer und wichtiger ist als die Welt.
Als Zeugen für das Reich Gottes sandte Jesus seine Jünger aus. Zuvor aber „rief er sie zu sich“ (Mt 10,1). Einige dieser Berufungsgeschichten sind uns überliefert. Zum Beispiel die Berufung der Brüderpaare Petrus und Andreas und Johannes und Jakobus. Die waren Fischer, übten den Beruf ihrer Väter am See Genezareth aus. Und da taucht eines Tages Jesus Christus auf und ruft diese Männer, die er sich erwählt hat, kurzerhand aus ihrer bisherigen Existenz heraus: Kommt, laßt alles stehen und liegen und folgt mir nach! Von jetzt ab seid ihr Menschenfischer.
Mit göttlicher Souveränität und Freiheit krempelt Christus das Leben der Jünger von Grund auf um. Er weiß auch, warum er ihnen das zumuten kann: weil er ihnen etwas Großes zu geben hat. Weil er sie hinausführen will ins Weite, in eine neue Freiheit und in eine Fülle neuer Lebensmöglichkeiten.
Petrus wird später einmal sagen: „Herr, du weißt, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt“. Worauf ihm Jesus antwortet: „Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Frau, Brüder, Eltern, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen. Jetzt in dieser Welt wird er Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das Ewige Leben“ (Mt 10, 28-30).
Ein Ruf Gottes, eine persönliche Berufung durch Jesus Christus steht auch am Anfang einer jeden Priesterbiographie. Papst Johannes Paul II. schrieb in jedem Jahr zum Gründonnerstag einen Brief an die Priester. In einem der letzten Briefe betonte er, die Priester sollten sich immer wieder daran erinnern und sich vor Augen halten, daß sie berufen worden sind. Daß sie also nicht einfach auf eigene Faust diesen Beruf ergriffen haben, sondern daß Gott es war, der sie dazu bestimmt und erwählt hat. – „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr aufbrecht und Frucht bringt“, sagt Jesus einmal zu den Jüngern (Joh 15,16).
Die Berufung zum Leben im Dienst Jesu Christi ist die Basis der priesterlichen Existenz. Hier ist auch die priesterliche Ehelosigkeit, der Zölibat begründet.
Zölibat heißt: einen Bund des Lebens mit Gott schließen. Heißt wie die ersten Jünger, die zwölf Apostel, die bürgerliche Existenz lassen, um ganz für das Reich Gottes dazusein. Heißt mit der ganzen Person einstehen für das, was von Gott kommt. Und jeder Priester wird auch erfahren, daß das nicht nur Verzicht und Opfer bedeutet, sondern Freiheit und Leben in vielfältigen menschlichen Beziehungen. Nicht Isolation, sondern im Gegenteil: eine größere Zugänglichkeit für die Menschen.
Christus beruft die Jünger, um sie auszusenden zu den Menschen, zu den Vielen, die müde und erschöpft sind „wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36). So sieht der Herr die Menschen, und so geht es ihnen in Wahrheit auch.
Das Leben in dieser Welt ist nicht, wie uns heute vorgemacht wird, eine einzige große Party. Das Leben des Menschen ist eine Aufgabe, oft genug eine schwere Aufgabe, mühselig, enttäuschend und trist. Das Leben ist manchmal ein Kampf und oft auch eine Schule des Leidens, wenn wir an die Schicksalsschläge denken, die Menschen treffen können.
Und doch läßt sich dieses Leben meistern – und sogar mit einer großen inneren Freiheit und Freude – wenn man nicht alleingelassen ist, sondern wenn man sich geliebt weiß; wenn man sich gerufen und geführt und getragen weiß von dem, der sagt: „Ich bin der Gute Hirt“ (Joh 10,11). Und wenn man dann mit dem Psalm 23 sagen kann:
„Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir mangeln. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal: Ich fürchte kein Unheil, denn Du bist bei mir.“ (Dieses Du des Guten Hirten ist das Entscheidende, das alle Not und Gefahr aufwiegt.)
Und dazu sendet Jesus seine Jünger aus: als Hirten für seine Schafe. – „Geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Geht und verkündet: das Himmelreich ist nahe“ (Mt 10,6).
Durch seine bevollmächtigten Diener will Christus der Gute Hirt sein für alle Menschen, für die Menschen aller Zeiten und Orte. „Pastoren“ nennt man mancherorts die Pfarrer: Hirten.
Christus, den Guten Hirten, repräsentieren. Und die Gnadengaben weitergeben, die der Priester nicht aus sich selbst hat, sondern in der Weihe vom Herrn empfangen hat: das vollmächtige Wort und Sakrament.
Und nun erkennen wir auch, worin die eigentliche Not des Priestermangels besteht. Es ist nicht der Mangel an irgendwelchen Gemeindeleitern und Kirchenfunktionären. Wo es den Priester nicht mehr gibt, da gibt es den Dienst des Guten Hirten nicht mehr.
Als Jesus nach dem Letzten Abendmahl mit den Aposteln zum Ölberg hinausgeht, sagt er zu ihnen: „Ihr alle werdet in dieser Nacht an mir Anstoß nehmen und zu Fall kommen; denn in der Schrift steht: Ich schlage den Hirten, dann zerstreuen sich die Schafe der Herde“ (Mt 26,31).
Die Herde braucht den Hirten. Und die Kirche braucht diejenigen, die an Christi statt den Dienst des guten Hirten wahrnehmen. Und wer sagt: Wir brauchen keine Hirten mehr, wir brauchen keine Priester mehr, die Gemeinde trägt sich selbst – der tut den Menschen keinen guten Dienst. Denn wo es keine Hirten mehr gibt, da wird es auf Dauer auch keine Gläubigen mehr geben.
Der Druck, der heute auf dem Priester und speziell: dem Pfarrer in der Gemeinde lastet, ist enorm. Die ganze Not der Glaubenskrise, die die Kirche in Mitteleuropa erlebt, die Not des Priestermangels und die Not des Gläubigenmangels bekommen die Pfarrer hautnah zu spüren. Die Pfarrer sind geradezu die Frontsoldaten der Pastoral. Sie werden immer weniger und bekommen immer mehr Pfarreien aufgehalst. Und gleichzeitig werden die Kirchen immer leerer. Mit wieviel Enttäuschungen muß der Pfarrer fertig werden! Da liegt es nahe, die Flucht zu ergreifen auf die eine oder andere Weise.
Danke denen, die bleiben, die aushalten. Sie sind so, wie Jesus den Guten Hirten beschreibt: Er bleibt bei den Schafen, auch wenn der Wolf kommt. Warum? Weil ihm an den Schafen liegt (Joh 10, 11-15).
Manchmal brauchen auch die Hirten Hilfe, so wie der hl. Pfarrer von Ars die Hilfe des kleinen Jungen brauchte, um nach Ars zu finden. Den Priestern gebührt die Wertschätzung und moralische Unterstützung der Gläubigen.
Diejenigen aber, die nach wie vor fragen: „Wozu brauchen wir überhaupt Priester?“, werden die Antwort wissen, wenn es keine Priester mehr für sie gibt.
(Zuerst erschienen in „Vision2000“ 6/2009)