Woher kommt das Böse?

Predigt zum 16. Sonntag im Jahreskreis (A)

Das Gleichnis vom „Unkraut unter dem Weizen“ (Mt 13, 24-43) ist alles andere als eine harmlose Geschichte. Es geht hier um grundsätzliche, existentielle Fragen. Zum Beispiel um die Frage: Woher kommt das Böse in der Welt?

Diese Frage gehört zu den Grundfragen der Philosophie. Die großen Denker der Menschheit haben sich darüber den Kopf zerbrochen.

Für den hl. Augustinus zum Beispiel war das Problem des Bösen nach eigener Aussage „die Frage, die mich in meiner Jugend aufs äußerste beunruhigte und mich schließlich erschöpft in die Arme der Ketzer trieb“ (De libero arbitrio I 2,4; gemeint ist die esoterische Sekte der Manichäer, der er sieben Jahre angehörte).

Aber nicht nur die Philosophen, jeder Mensch, der mit wachen Augen durch die Welt geht, muss immer wieder an dieser Frage hängenbleiben: Woher kommt das Böse? – Woher kommt so viel Leid, Unglück, Gewalt, Grausamkeit, Streit, Krieg, woher kommen so viele „humane Katastrophen“ im Kleinen wie im Großen?

Für den gläubigen Menschen verschärft sich diese Fragestellung sogar noch: Hat Gott nicht eine gute Schöpfung gemacht? Und ist er nicht selbst der Gute, der Barmherzige und Gnädige und auch der Allmächtige?

Wieso aber gibt es dann so viel Böses und Trauriges in der Welt? – Müssen wir da nicht an Gott, dem Allmächtigen und Allgütigen, irre werden?

Zu den großen, den existentiellen Fragen des Menschen gehört es, dass sie sich leicht stellen, aber nur schwer beantworten lassen.- Einfache Antworten greifen meistens zu kurz.

Und doch gibt Jesus in diesem Evangelium, in diesem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen einen Hinweis, wie wir uns das Böse in der Welt zu erklären haben.

„Das hat mein Feind getan“ (Mt 13, 28).

Das heißt: Für den Zustand der Welt – der Acker im Gleichnis steht ja für die Welt – ist nicht der Schöpfer allein verantwortlich. Es gibt den bösen Feind – den Feind Gottes bzw. „des Menschensohns“ (Mt 13, 37) – der unablässig eine böse Saat ausstreut; der Gottes gute Werke zu zerstören sucht; der vor allem den Menschen, Gottes Ebenbild, zum Bösen zu verführen und zum Abfall von Gott zu verführen sucht.

Es gibt eine böse Macht im Hintergrund, die an den vielen menschlichen Tragödien im Großen wie im Kleinen ursächlich beteiligt ist.

Jesus nennt diese Hintergrund-Macht beim Namen: „Es ist der Teufel“ (Mt 13,39). Er ist es, der seine Hand im Spiel hat, wenn Unkraut mitten unter Gottes gutem Weizen wächst. – Wobei „Unkraut“ eine unzureichende Übersetzung ist. – Gemeint ist das hochgiftige Tollkraut, das dem Weizen zum Verwechseln ähnlich sieht und tödliche Wirkung hat.

Im Vaterunser lehrt der Herr uns beten: „Erlöse uns von dem Bösen!“ Mit diesem Bösen ist nicht nur das Böse im allgemeinen, sondern auch der Böse in Person gemeint. Der große Feind des Menschengeschlechts. Wir ahnen etwas vom Gewicht dieser letzten Vaterunser-Bitte.

Zugleich führt uns diese Bitte noch einen Schritt weiter.

Gott ist nicht nur der Schöpfer der Welt, der sie im Anfang gut, ja sehr gut gemacht hat.(Gen 1,31). Gott ist auch der Erlöser, der am Ende die Welt von der Tyrannei des Bösen befreien wird, der die unzähligen Opfer der Menschheitsgeschichte rehabilitieren, ihre Mörder aber zur Rechenschaft ziehen wird. Von dieser machtvollen Erlösung der Welt durch Gott, die zugleich das endgültige Aus für alles Böse bedeutet, spricht das Ende unseres Gleichnisses in dramatischen Bildern.

Gott bleibt also immer der Herr des Geschehens. Er läßt sich seine Pläne nicht durchkreuzen und er läßt das Böse in dieser Zeit nur zu, weil er es einmal zum Guten führen wird. Von diesem Standpunkt aus, vom Standpunkt der einstigen Erlösung aus, müssen wir die Welt und das Böse in ihr betrachten.

Der Glaube lehrt uns somit die rechte Welt-Anschauung, – er lehrt uns die Dinge und Ereignisse richtig sehen und richtig verstehen, er bewahrt uns vor der Resignation und der Verzweiflung am Dasein.

Der Glaube lehrt uns aber auch, uns selbst richtig sehen und erkennen. Denn genau genommen wächst das Unkraut nicht nur draußen in der Welt, es wuchert auch drinnen in uns selbst mitten unter dem Weizen.

Wenn wir Gott und seinem Gebot, das unser ganzes Leben verwandeln will, begegnen, wie oft wehren wir uns, sind unwillig, sind eher Feind als Freund. Dann haben wir tausend Gründe, warum wir hier und jetzt nicht so wie Gott wollen und lieber doch nach eigener Facon – ohne Gott – selig werden wollen.

Wer ehrlich mit sich selbst ist und sich im Licht des Evangeliums ins Gesicht schaut, der hat nicht nur die Welt im allgemeinen zu beklagen, der muss sich auch selbst anklagen.

Auch daran übrigens werden wir bei jedem Vaterunser erinnert: „Vergib uns unsere Schuld!“

So wird Gottes Gericht in vielen Fällen wohl mitten durch den Menschen hindurchgehen müssen, das Böse vom Guten, das Unreife vom Reifen, das Selbstische von der Liebe, und den Unglauben von der Gottverbundenheit scheiden müssen.

Hoffen wir, mühen wir uns darum, dass bei uns dann mehr Weizen als Unkraut zu finden ist.

Amen.