Wegweiser zum Leben: die Zehn Gebote

Predigt zum 3. Fastensonntag (B)

„Jesus trieb alle zum Tempel hinaus: >Schafft das hier weg, macht aus dem Haus meines Vaters keine Markthalle<“ (Joh 2, 15.16).
Wenn es um Gott geht und das, was Gott gehört, kennt der Herr keinen Kompromiss, schon gar keinen faulen Kompromiss. Gott ist heilig, und auch der Tempel ist heilig, weil er Gottes Haus ist.
Und das dürfen wir nun auch beziehen auf unseren Tempel, unsere Kirche. Eine Kirche ist kein x-beliebiges Gebäude, kein Versammlungsraum, keine Festhalle, auch kein Museum und kein Konzertsaal. Sie ist Gottes Haus in unserem Ort, Zeichen der Gegenwart Gottes mitten unter uns, Tempel des Leibes Christi, denn der Leib Christi vorne im Tabernakel ist das Zentrum und das „lebendige Herz“ (Papst Paul VI.) jeder Kirche. Wir sind ja nie allein in der Kirche, auch wenn kein anderer Mensch da ist. Der Herr wartet hier immer schon auf uns.
Und genau wie die Kirche als Sakralbau soll uns auch die Liturgie von Gott sprechen, von Gottes Größe und Gegenwart, Schönheit und Heiligkeit. Das muss von einem Gottesdienst ausgehen, dass hier nicht irgendetwas gefeiert wird, sondern dass hier der lebendige Gott, unser höchstes Gut, verehrt wird.
Liturgie ist „vor allem Anbetung der göttlichen Majestät“, sagt das Zweite Vatikanische Konzil in der Konstitution über den Gottesdienst (SC 33).

Gott zuerst! – Das könnte auch die Überschrift zum DEKALOG sein, zu den Zehn Geboten aus dem Zweiten Buch Mose (Exodus), die wir heute in der Lesung gehört haben. Diese Gebote sind nicht nur das Grundgesetz des Gottesvolkes, sie sind die Grundregeln der Humanität, des wirklich menschenwürdigen Daseins. Und sie gelten auch heute noch, denn es ist nicht bekannt, dass Gott sie letztens zurückgenommen hätte…
Das wiederholte „du sollst nicht…“ kann den Eindruck erwecken, dass es sich hier sozusagen um einen Schilderwald von Verboten handelt, den der Himmel vor uns aufpflanzt. Das ist aber – wie Papst Benedikt betont – ganz und gar nicht so. Es geht nicht um ein „Bündel von Verboten“, sondern im Gegenteil um eine große positive Lebensvision, um das „JA zu einer Kultur des Lebens“. Und dazu gehört auch und zuerst
das Ja zu Gott, der dem Leben Sinn gibt („Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen. Du sollst den Tag des Herrn heiligen“: Erstes, Zweites und Drittes Gebot);
das JA zur Familie („Du sollst Vater und Mutter ehren“: Viertes Gebot);
das JA zum Leben („Du sollst nicht töten“: Fünftes Gebot);
das JA zu verantwortungsbewusster Liebe („Du sollst nicht die Ehe brechen“: Sechstes Gebot);
das JA zu Solidarität, sozialer Verantwortung und Gerechtigkeit („Du sollst nicht stehlen“: Siebtes Gebot);
das JA zur Wahrheit („Du sollst nicht falsch aussagen“: Achtes Gebot);
das JA zur Achtung anderer Menschen und dessen was ihnen gehört („Du sollst nicht begehren“: Neuntes und Zehntes Gebot) – So Papst Benedikt XVI. am 8. Januar 2008.

Die ersten drei Gebote richten uns auf Gott aus, die weiteren sieben verbinden uns mit den Mitmenschen. – Vertikale und Horizontale, Gottes-Achse und Welt-Achse- gehören zusammen und bilden ein Kreuz. Diese Kreuzförmigkeit ist die Grundstruktur des biblischen Menschenbildes, besonders der Verkündigung Jesu  (denken wir zum Beispiel an das Vaterunser mit seinen drei „Du-Bitten“ und vier „Wir-Bitten“ oder an das Doppelgebot der Liebe zu Gott und dem Nächsten).
Wobei die tragende Achse die Gottesachse ist, ohne die sich die Horizontale nicht halten kann. Darum gibt es ohne Gott auf Dauer keine Menschlichkeit und ohne Glaube keine Liebe.
Wenn wir uns selbstkritisch im Spiegel der Zehn Gebote anschauen, dann wird keiner sagen können: >Das hab ich alles immer so gemacht. Ich kann mit mir zufrieden sein. Und du, Gott, kannst es auch!< Und sollte jemand insgeheim so denken, dann wäre er am übelsten dran, infiziert von Selbstgerechtigkeit und Selbstzufriedenheit, die den Menschen am meisten von Gott entfernen.
Es muss uns immer wieder zu denken geben, ja betroffen machen, dass die ärgsten und unerbittlichsten Feinde Jesu nicht etwa Ungläubige und Gesetzlose waren, sondern die Frommen und Gerechten Israels, die Schriftgelehrten und Pharisäer.
Sie ertrugen den Gedanken nicht, dass sie einen Erlöser brauchen, wo sie doch so rechte und anständige Menschen waren, besonders im Vergleich mit den Zöllnern und Sündern, , die sich um Jesus scharten.
Der Apostel Paulus lebte als Eiferer für das Gesetz selbst in dieser Lebenslüge, bis ihm die Erkenntnis kam: „Es gibt keinen, der gerecht ist, auch nicht einen…Denn durch Werke des Gesetzes wird niemand vor Gott gerecht“ (Röm 3,10.20). Deshalb brauchen alle die Vergebung der Sünden  und deshalb genügt, damit wir bessere Menschen werden, der moralische Zeigefinger nicht, sondern wir brauchen die vergebende Liebe Gottes, die allein die Kraft hat zu verändern. Wir wissen, wie schwer es uns fällt, uns nur in einem einzigen Punkt zum Besseren zu ändern. Wenn es wirklich gelingt, ist es immer schon Gnade, unverdiente Hilfe von oben.
„Das Gesetz wurde durch Mose gegeben. Die Gnade und Wahrheit aber kamen durch Jesus Christus“, schreibt Johannes am Anfang seines Evangeliums (Joh 1,17).
Wir müssen dem Herrn von Herzen dankbar sein, dass er uns nicht nur Gebote und Gesetze gegeben hat, sondern vor allem seine Gnade, denn aus eigener Kraft und durch eigene Verdienste könnten wir niemals den Himmel erreichen und auch kein geglücktes Erdenleben.
Deshalb ist uns diese vorösterliche Fastenzeit als eine Zeit der Gnade gegeben, in der wir uns neu auf Gott ausrichten und die Versöhnung mit ihm suchen sollen (nicht zuletzt im Sakrament der Sündenvergebung).
Mit seiner Hilfe kann uns dann auch die Versöhnung mit unseren Mitmenschen gelingen, ein versöhntes, liebevolleres Miteinander mit denen, die Gott uns gegeben hat als unsere Nächsten. Und auch die schwierige Aufgabe der Versöhnung mit uns selbst, mit dem, was wir vielleicht an uns so hassenswert finden, kann im Bund mit Gott gemeistert werden.
Die Zehn Gebote sind Wegweiser zum rechten Leben. Der Weg selber aber ist Christus. Er ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Er muss uns den Weg bahnen, er muss mit uns gehen und uns führen, dass unser Leben gelingt in Zeit und Ewigkeit.