Predigt zum 24. Sonntag im Jahreskreis A (Mt 18, 21-35)
„Wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? – Siebenmal“?
Petrus meint, er hat damit schon hoch gegriffen. – „Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzig mal“, lautet die Antwort (Mt 18,22). Mit anderen Worten: Immer und immer wieder und immer wieder aufs Neue musst du vergeben.
Immer verzeihen. Eine klare Aussage. Und ein hoher Anspruch. Denn verzeihen ist ja nicht leicht. Wenn einem wirklich übel mitgespielt worden ist, wenn man hässlich behandelt wurde, dann heißt verzeihen: verzichten. – Verzichten auf den gerechten Ausgleich, auf die Wiedergutmachung, die mir der andere schuldet. Das ist nicht leicht. Aber ohne Verzeihen, ohne ständige Vergebungsbereitschaft ist menschliche Gemeinschaft, ist Zusammenleben mit anderen auf Dauer überhaupt nicht möglich.
Wir wissen, dass heute viele Ehen und Familien in die Brüche gehen – oft schon nach wenigen Jahren. Eine Ursache liegt in der Unfähigkeit, verzeihen zu können. Eheberater sprechen davon, dass die sogenannte „Frustrationstoleranz“ bei jungen Paaren heute oft sehr gering ist. Mit anderen Worten: Viele Menschen sind nicht bereit, Frustrationen mit dem Partner zu ertragen. Bei der ersten größeren Krise, bei der ersten Enttäuschung mit dem andern werfen sie die Flinte ins Korn und kehren sich vom Partner ab. Sie kommen über die Kränkung einfach nicht hinweg. Sie können nicht vergeben und nicht vergessen.
Was ist der Grund für solche Unversöhnlichkeit?
Nicht selten vielleicht ein allzu aufgeblähtes Ego, das jede Kleinigkeit als unverzeihliche Majestätsbeleidigung empfindet. Auch eine übersteigerte Erwartungshaltung spielt eine Rolle. Viele erwarten insgeheim zu viel vom anderen. Er soll ihnen gefälligst alle Wünsche erfüllen, das Paradies auf Erden bereiten, der Traummann bzw. die Traumfrau sein. Natürlich ist da die Enttäuschung vorprogrammiert. Traumfrauen und Traummänner gibt es nämlich nur im Fernsehen. Wir übrigen Erdenbürger sind Menschen aus Fleisch und Blut, mit Ecken und Kanten, unschönen Makeln und Grenzen und mit der Anfälligkeit für die Sünde.
Miteinander leben heißt darum zu einem guten Teil: Einander ertragen, einander aushalten mit dem, was nicht gefällt am anderen, was lästig und störend und schmerzlich ist.
„Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat“. Wiederholt spricht der Apostel Paulus diese Mahnung aus – oder besser gesagt: diesen guten Rat, diese goldene Regel des Zusammenlebens (Kol 3,13).
Vielleicht kann nur der auf Dauer und aus ganzem Herzen Vergebungsbereitschaft aufbringen, der um seine eigene Vergebungsbedürftigkeit weiß.
„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldnern“, lehrt Jesus uns beten. Bei jedem Vaterunser werden wir daran erinnert, dass wir selbst Schuldner Gottes sind und von seiner Großmut und Güte täglich leben. Wir sind in Gottes Schuld, weil wir so weit hinter dem zurückbleiben, was wir eigentlich sein könnten und wozu uns Gott berufen hat. Wir sind schuldig, weil wir vielen vieles schuldig geblieben sind. Wenn wir aber von Gott dauernde Nachsicht erwarten, dann ist es wohl nur recht und billig, wenn auch wir nicht kleinlich mit unseren Schuldnern sind, sondern uns um Großzügigkeit und Großherzigkeit mühen. Jesus sagt sogar, das sei der Maßstab, nach dem wir einmal gerichtet würden. Wer nicht „von ganzem Herzen seinem Bruder vergibt“ darf auch keine Vergebung und Barmherzigkeit von Gott erwarten (Mt 18,35). Im Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger macht Jesus das deutlich: Zuerst erlässt ein hoher Herr seinem Diener aus Mitleid die ungeheure Summe von 10.000 Talenten – und dann lässt dieser so großzügig behandelte Diener seinen Mitknecht wegen ein paar Denaren in den Schuldturm werfen. So etwas, sagt Jesus, gefällt Gott ganz und gar nicht. Wer unbarmherzig und unversöhnlich ist, darf dann selbst nicht auf unbegrenztes Erbarmen bei Gott rechnen…
Vergebungsbereitschaft ist also nicht nur für unser Leben hier und jetzt von entscheidender Bedeutung, sondern auch für das ewige Leben.
Nehmen wir uns das wieder neu zu Herzen, so wie es uns auch in der heutigen Lesung vom weisen Jesus Sirach (Sir 28,1-9) nahegelegt wird: „Denk an das Ende, lass ab von der Feindschaft. Denk an die Gebote und grolle dem Nächsten nicht. Denk an den Bund des Höchsten und verzeih die Schuld. Vergib deinem Nächsten das Unrecht, dann werden dir, wenn du betest, auch deine Sünden vergeben“.
Amen.