Predigt zum Fest Allerheiligen (Matthäus 5, 1-12; Offenbarung 7, 2-14)
Der Allerheiligentag führt die Menschen zusammen. Vielerorts ist es noch üblich, dass sich die Familie an Allerheiligen trifft. Man kommt zusammen am Heimatort und besucht gemeinsam die Gräber der Angehörigen.
Da steht man dann an einem Grab, liest noch einmal den Namen mit den Daten und erinnert sich an einen Menschen, an Schönes und vielleicht auch Schweres, das man mit ihm erlebt hat. Und man fragt sich vielleicht, ob er jetzt wohl im Himmel ist, ob er unter denen ist, von denen wir in der Lesung gehört haben, „die am Thron Gottes in weißen Gewändern stehen und Palmen in den Händen tragen“ (Offb 7,9).
Der Seher Johannes hat eine gewaltige Vision. Er erfährt die Zahl derer, die gerettet werden: hundertvierundvierzigtausend.
Das ist eine symbolische Zahl, keine rechnerische Größe. 144.000, das ist: 12x12x1000.
Zwölf steht in der Heiligen Schrift immer für das Zwölfstämme-Volk Israel und für die Kirche, gebaut auf die zwölf Apostel.
Hundertvierundvierzigtausend: das ist die Gesamtheit des Gottesvolkes, das ist die Kirche aller Zeiten, das sind die heiligen Gestalten der Bibel und der Kirchengeschichte, das sind Abraham, Isaak, Jakob, Moses, Elija, Maria, Petrus und Paulus; das ist ein heiliger Franziskus, eine heilige Elisabeth. Das sind aber auch die vielen unbekannten Christen, alle, die Christus nachgefolgt sind in ihrem vielleicht ganz unscheinbaren, alltäglichen Leben. „Sie sind mit dem Siegel gekennzeichnet“, heißt es (Offb 7,4). Das „Siegel“ ist ein Hinweis auf die Taufe, die in der frühen Christenheit „Versiegelung“ genannt wurde.
Neben diesem Gottesvolk aller Zeiten – den 144.000 – sieht aber Johannes noch mehr: eine unzählbare Schar aus allen Völkern und Sprachen. Sie rufen: „Die Rettung kommt von Gott und von dem Lamm“ (Offb 7,10).
Wir können hier eine Antwort auf die Frage finden, ob nur Christen in den Himmel kommen.
Wir sehen, es sind nicht nur die „Versiegelten“, die Getauften, es ist eine unzählbare, eine unendlich große Menge von Menschen aller Zeiten – also auch solche, die vor Christus gelebt haben – aus allen Nationen , Kulturen und Religionen. Was aber ist ihre Gemeinsamkeit, warum sind auch sie jetzt bei Gott im Himmelreich?
In der Vision vom Thron Gottes stellt ein Ältester die Frage: „Wer sind diese und woher sind sie gekommen?“ Und er gibt die Antwort: „Das sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen. Sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht“ (Offb 7, 14).
Hier ist ein Zweifaches gesagt. Die Erlösten, die Geretteten vor dem himmlischen Thron kommen aus der Bedrängnis. Als Johannes die Apokalypse schrieb, verstand er unter dieser Bedrängnis gewiss vor allem die blutigen Christenverfolgungen der römischen Kaiser. Er selbst befindet sich in der Verbannung auf der Insel Patmos.
Wir dürfen „Bedrängnis“ aber auch in einem weiteren Sinn verstehen. Jedes Leben hat seine Bedrängnis, sein Leid, seine Tragik. Die entscheidende Frage ist, ob mich diese Härten des Lebens selber hart machen, rücksichtslos, egoistisch – oder ob ich – wie Paulus sagt- das Böse besiege durch das Gute (Röm 12,21). Ob ich in dieser Welt – allem Bösen zum Trotz – ein guter Mensch bin, einer der in der Linie dessen lebt, was Jesus in den Seligpreisungen der Bergpredigt das Entscheidende nennt: „Selig, die arm sind vor Gott, die ein reines, liebendes Herz haben, die nicht gewalttätig sind, die barmherzig sind, die nach der Gerechtigkeit dürsten und Frieden stiften“ (Matth 5, 1-12).
Wer davon etwas lebt – mit der Hilfe Gottes – der lebt auf den Himmel, auf das Reich Gottes hin.
Das ist das eine Kriterium. Und das andere: „Sie haben sich reinwaschen lassen im Blut des Lammes“.
Der Mensch kann sich noch so sehr mühen um Anständigkeit, um ein tapferes Bestehen des Alltages. Sich selbst erlösen, sich selbst das Ewige Leben geben, das kann niemand. Wir sind nun einmal Sterbliche, dem Tod gegenüber ohnmächtig. Und das merken wir spätestens dann, wenn es mit uns zu Ende geht.
Jeder Mensch, auch der beste, auch der moralischste (ob Christ oder Nicht-Christ) ist angewiesen auf Christus, auf die Erlösung, die Christus durch seinen Tod und seine Auferstehung ermöglicht hat. Und er schließt keinen aus von seiner Liebe, für alle hat er sein Blut vergossen. „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“, sagt er (Joh 6,37).
Liebe Mitchristen, wenn wir auf uns selbst und unsere „Heiligkeit“ schauen, müssten wir verzagen, wenn wir auf Christus schauen, dürfen wir hoffen – für uns und für unsere Verstorbenen. Deshalb beten wir für sie: dass sie reingewaschen werden im Blut des Lammes, ganz besonders dann, wenn das Opfer Christi erneuert wird in der Heiligen Messe. In sein Blut, vergossen zur Vergebung der Sünden, dürfen wir uns und alle, die uns am, Herzen liegen, eintauchen, ja „alle Menschen, die mit lauterem Herzen Gott suchen“, wie es im vierten Eucharistischen Hochgebet heißt.
Alle Heiligen, alle, die das Ziel des Lebens erreicht haben und ganz Gott gehören, sind versammelt zur himmlischen Liturgie am Thron Gottes, wie Johannes es in seiner großartigen Vision geschaut hat. Alle Erlösten stehen voll im Licht der Liebe Gottes. Von dort fällt Glanz und Licht auf unsere Liturgie am heutigen Morgen, wo wir neu erfahren dürfen: Es gibt Rettung. Sie kommt von Gott, dem Herrn und von Christus, unserem Erlöser.
Amen