Was Weihnachten bedeutet – und was nicht.

Predigt am Weihnachtstag (Hebr 1, 1-6; Joh 1, 1-18)

Weihnachten ist nach wie vor in unseren Breiten der Höhepunkt des Jahres, das Hauptfest des Jahres.
Immer noch feiern die meisten Menschen bei uns Weihnachten, auf die eine oder andere Weise.
Die Frage ist nur: was feiern wir eigentlich an Weihnachten?
Weihnachten hat ja viele Namen.
Man nennt es „das Fest des Friedens“ oder „das Fest der Liebe“, auch das „Fest der Familie“ wird es genannt.
Das klingt alles schön – und ist bestimmt nicht falsch; aber all diese wohlklingenden Etiketten treffen nicht den Kern der Sache – und klingen auch etwas illusionär und unwirklich.

„Fest der Familie“. -Es mag so sein, dass viele wenigstens einmal im Jahr, wenigstens am Heiligen Abend die Familie auf Platz 1 setzen und sich Zeit nehmen für die Familie. – Aber ist es überall so? Manche Eltern und Großeltern können ein Lied davon singen, dass es Jahr für Jahr schwieriger wird, am Heiligen Abend wirklich einmal alle unter dem Christbaum versammelt zu sehen – und zwar nicht nur für eine Stippvisite.
Was aber soll das „Fest der Famile“ für die bedeuten, die gar keine Familie haben: die große Zahl der Alleinstehenden, gerade in der älteren Generation? Gibt es für die kein Weihnachten?

Und wie ist es mit dem Fest der „Liebe und des Friedens“?
In diesem Jahr, in diesem Heiligen Jahr 2000 wollte man am Geburtsort Jesu, in Betlehem, das Weihnachtsfest mit besonders vielen Pilgern aus aller Welt begehen.
Stattdessen wurde es eine bescheidene Feier, bedrückt, belastet vom Schatten der Kriegsgefahr.
Es ist paradox: Gerade dort in Betlehem, im Heiligen Land, wo die Engel den Weihnachtsfrieden verkündeten, gerade dort finden und finden die Völker nicht zum Frieden, werden die Menschen tyrannisiert Jahr für Jahr durch Gewalt, Hass, Unversöhnlichkeit.

„Das Fest der Liebe und des Friedens“ – auch im persönlichen Bereich klingt das eher wie eine Beschwörungsformel.
Zu Beginn des Advents war in der Zeitung eine Umfrage unter Kindern veröffentlicht. 30 Prozent, hieß es, erwarten an den Feiertagen Streit und Krach in der Familie – weil es so in den Vorjahren war.
So viele freie Tage, an denen man sich nicht aus dem Weg gehen kann: das gibt Reibungen. – Da kommt raus, wie gut – oder schlecht – man in Wahrheit miteinander auskommt.
„Weihnachten ist gerettet“ – mit diesem Slogan hat RTL in der Vorweihnachtszeit geworben; ich fand das geschmacklos.
Aber vielleicht ist es wirklich für viele so, dass man sich nur mit Actionthrillern über die Feiertage retten kann. Wenn es einem schon nicht möglich war, die Flucht in den Ski- oder Bade-Urlaub zu ergreifen…

Liebe Gläubige, stellen wir nochmal die Frage: Worum geht es eigentlich an Weihnachten?
Warum feiern wir und so viele Millionen auf der Welt Jahr für Jahr dieses Fest?
Die Antwort wurde eben im Evangelium gegeben. – In diesen großartigen, feierlichen Sätzen aus dem Johannesprolog:
„Das Wort ist Fleisch geworden“. – „Der einzige Sohn Gottes, der von Ewigkeit beim Vater war, er ist Mensch geworden und hat unter uns gewohnt“.
Das ist die Weihnachtsbotschaft, die seit 2000 Jahren am 25. Dezember durch die Kirche verkündet wird. Und wer diese Worte nicht hört, wer sie nicht Jahr für Jahr aufs neue hört und mit gläubigem Herzen annimmt, dem muss Weihnachten verloren gehen, dem muss dieses Fest von Jahr zu Jahr blasser und nichtssagender werden, bis es eines Tages ganz aus dem Leben verschwunden ist.
Das, was wir hier in der Kirche begehen und heute Nacht begangen haben, das ist der Kern des Weihnachtsfestes, das ist die Seele von Weihnachten – und ohne diese Feier des Glaubens muss alles andere leer und schal und hohle Phrase bleiben.
Darum auch die Feierlichkeit der Liturgie.
Das Gloria der Engel bei der Geburt Jesu, der himmlische Jubel über die Ankunft des Erlösers – das soll in der Kirche fortklingen durch die Zeiten, das soll die Menschen aller Zeiten und an allen Orten erreichen mit allen Mitteln, welche die große liturgische Tradition der Kirche bietet.

In der heutigen Lesung wurde eine Stelle aus dem Hebräerbrief vorgetragen, eine Stelle – theologisch ähnlich zentral und gewichtig wie das Evangelium:
„Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn“ (Hebr 1, 1-2).
Seit es Menschen gibt, suchen sie nach Antwort auf die großen Fragen:
Was ist der Sinn des Lebens? Was sollen wir glauben? Was dürfen wir hoffen? Gibt es Gott? Gibt es ein ewiges Leben?
In den Religionen der Welt drückt sich dieses Fragen und Sehnen aus, in der Philosophie, in der Kunst.
Und in all dem gibt es auch Wahres, Spuren der Wahrheit. Gott hat sich nicht unbezeugt gelassen; er hat „auf vielerlei Weise zu den Menschen gesprochen“. Die endgültige, definitive Antwort hat er aber nicht durch Propheten, Religionen und Philosophen gegeben, sondern durch seinen eigenen Sohn: Jesus Christus.
Er ist „das Wort“, sagt Johannes. – Er ist „das letzte Wort“ das Gott spricht. – Er ist die verbindliche, ein für alle Mal gültige Selbstoffenbarung Gottes.
Wer wissen will, was wahr ist, was gilt, wie man leben muss, was man hoffen darf: der muss auf Jesus schauen. Er ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14, 6).

Merkwürdig ist, dass es im Hebräerbrief heißt : „In dieser Endzeit hat Gott zu uns gesprochen durch den Sohn“. Das heißt: die Endzeit ist nicht etwas Zukünftiges, sondern: die Endzeit hat bereits begonnen mit der Ankunft des Gottessohnes. Wir leben jetzt schon in der Endzeit, in der letzten, entscheidenden Epoche der Menschheit, die mit Jesu Geburt angebrochen ist. Wir sind, hier und heute, jeder einzelne von uns, in die Entscheidung gestellt, die Johannes so schildert:
„Er – der Sohn Gottes – kam in sein Eigentum. Aber die Seinen nahmen ihn nicht auf . – Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben“ (Joh 1, 11-12).
Nehmen wir Christus auf – und glauben wir an ihn – oder nicht? – Das ist die entscheidende Frage.
Viele, die eigentlich zu Christus gehören, die den Christennamen tragen, sind innerlich vom Glauben abgefallen.
Stellen wir uns heute, an Weihnachten 2000, bewusst auf die Seite des Glaubens!
Damit uns auch die Gnade des Glaubens geschenkt wird: Kind Gottes zu werden.
„Der Erlöser ist ein Menschenkind geworden, damit wir Menschen Kinder Gottes werden können“ (Papst Leo der Große).
Das ist der tiefste Sinn der Menschwerdung Christi: uns Menschen mit Gott zu versöhnen und auf ewig zu verbinden.
Ich wünsche es uns allen, dass wir dieses Angebot, diese ausgestreckte Hand Gottes in Jesus beherzt ergreifen. – Ich wünsche uns und allen, die heute gläubig Weihnachten begehen, dass wir aus der Fülle Jesu Gnade über Gnade empfangen.

Amen.