Predigt zum 24. Sonntag im Jahreskreis C (Lk 15, 1-32)
„Große Freude herrscht bei den Engeln Gottes über einen einzigen Sünder, der umkehrt“ (Lk 15,10). Ein einziger verlorener Sohn, der zurückfindet zum Vaterhaus, löst im Himmel Freude aus. Nicht Tausende müssen es sein, die sich bekehren, nicht Hunderte, ein Einziger genügt schon. Die große Zahl spielt für Gott anscheinend keine große Rolle. Ganz anders als bei uns, die wir sehr auf Zahlen schauen, z.B. die Zahl der Kirchenbesucher. Gott sieht es anders. Ein Einzelner, der es ernst meint, ist ihm wichtiger als viele andere.
Das Verlorene wiederfinden: darum geht es in den Gleichnissen des heutigen Sonntags, unter denen das Gleichnis vom Verlorenen Sohn herausragt.
Dass Menschen Wichtiges, Liebgewordenes verlieren, das passiert immer wieder. Und wenn es sich um einen nahen Menschen, einen geliebten Menschen handelt, den wir verlieren – durch den Tod, durch Entfremdung – dann ist das etwas vom Schmerzhaftesten. Und es bleibt immer die Sehnsucht nach dem Wiederfinden.
Die Heilige Schrift erzählt oft vom Schmerz des Verlierens und auch der Freude des Wiederfindens.
Da ist vor allem die große Gestalt Abrahams.
Gott schenkt ihm in hohem Alter einen Sohn. Doch dann kommt die Forderung: „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, und bring ihn als Opfer dar“ (Gen 22,2). Abraham kann nicht verstehen, warum Gott ihm den Sohn der Verheißung wieder nehmen will. Aber er vertraut, dass alles, was Gott will und tut einen Sinn hat und gut ist. Und für dieses bedingungslose Vertrauen wird Abraham belohnt. Nicht nur, dass er den Isaak zurückerhält. Mit diesem Sohn bekommt er das Versprechen, dass aus diesem einen Sohn ein großes Volk wird, aus dem dann einst der Retter aller Menschen, der Messias hervorgehen wird.
Die Geschichte von Abraham steht im ersten Buch der Bibel, dem Buch Genesis. Und da lesen wir auch die Geschichte von Jakob, dem Sohn Isaaks. Gerade die Jakobsgeschichte ist etwas vom Ergreifendsten; da ist das volle Menschenleben drin, Größe und Tragik des Menschen und hinter allem die göttliche Regie, die die Fäden immer in der Hand hat.
Jakob hatte zwölf Söhne, einer davon war sein Liebling, sein Augapfel: Josef. Er hatte ihn von seiner früh verstorbenen Lieblingsfrau Rahel bekommen. Diesen auch noch hochbegabten Sohn bevorzugt, hätschelt und verwöhnt er – zum Ärger der Brüder. Aus Neid und Eifersucht verkaufen sie Jakobs Lieblingssohn als Sklave nach Ägypten und erzählen dem Vater, er sei in der Wüste umgekommen. Es ist der schlimmste Schlag, der Jakob treffen kann. Jahre, ja Jahrzehnte trauert er um Josef und will sich nicht trösten lassen. Und es geschieht das Unglaubliche. Eines Tages melden die Söhne: „Josef ist noch am Leben. Er ist sogar Herr über ganz Ägypten“ (Gen 45,26). So bekommt Jakob nach vielen Jahren seinen geliebten Sohn zurück – und mit ihm die Rettung der ganzen Familie aus Hungersnot.
Verloren und wiedergefunden – das passiert auch im neuen Testament, das passiert Josef und Maria, als sie drei Tage in Jerusalem verzweifelt nach dem zwölfjährigen Jesus suchen (Lk 2, 41-52). Sie bekommen ihn zurück, aber auf neue Weise. Sie wissen jetzt: dieses Kind gehört ganz zu Gott, es ist zuerst Gottes Sohn, dann erst unserer.
Und dieses dreitägige Verlorengehen Jesu ist schon ein Vorspiel zu dem, was am Ende seines Weges geschehen wird, wenn er drei Tage im Grab verloren ist, und dann auf neue Weise da ist als der Auferstandene. „Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen“ heißt es (Joh 20,20). – Ja, es ist die größte Freude, einen geliebten Menschen wiederzusehen, von dem man getrennt war. Es ist die größte Freude, einen geliebten Menschen, der einem genommen war, wiederzuhaben.
Allen, die nach Verlorenem Ausschau halten, die sich nach verloren gegangenen Menschen sehnen, sagt der Herr zu: „Wer sucht , der findet“ (Mt 7,8). – Wer in Glaube, Hoffnung, Liebe und Geduld sucht, dessen Hoffnung und Sehnsucht ist nicht umsonst, der wird wiederfinden, vielleicht auf neue Weise, in diesem Leben oder in der Ewigkeit, und dann wird die Freude grenzenlos sein.
Das dürfen wir uns zusagen lassen von Gottes Wort. Und wenn es vielleicht grade umgekehrt ist, wenn wir es sind, die von anderen vermisst werden, dann sollten wir sie nicht ewig warten lassen auf Zeichen der Annäherung.
Und auch Gott, unseren Vater, sollten wir nicht ewig warten lassen. Er wartet darauf, dass alle seine Kinder und besonders alle verlorenen Söhne und Töchter sich an ihn erinnern, mit ihm wieder verbunden sind, bei ihm daheim sind. Denn ohne Gott, fern von Gott gibt es kein wirkliches Glück, keine Erfüllung des Menschen. Nur in Gott finden wir die Antwort auf unsere Sehnsucht. Nur in Gott finden wir alles, was uns fehlt. Nur bei Gott finden wir die große Freude in Zeit und Ewigkeit.
AMEN